Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 272
Mit dem Härtegrund des § 1579 Nr. 2 BGB wird kein vorwerfbares Fehlverhalten des Unterhaltsberechtigten sanktioniert, sondern es wird auf rein objektive Gegebenheiten bzw. Veränderungen in den Lebensverhältnissen des bedürftigen Ehegatten abgestellt, die eine dauerhafte Unterhaltsleistung unzumutbar erscheinen lassen. Entscheidend ist deswegen darauf abzustellen, dass der unterhaltsberechtigte frühere Ehegatte eine verfestigte neue Lebensgemeinschaft eingegangen ist, sich damit endgültig aus der ehelichen Solidarität herauslöst und zu erkennen gibt, dass er diese nicht mehr benötigt.
Zitat
Eine verfestigte Lebensgemeinschaft kann in zwei Fallvarianten gegeben sein:
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Zusammenleben in einer sog. Unterhaltsgemeinschaft |
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Eheähnliche Gemeinschaft |
Eine Unterhaltsgemeinschaft ist zu bejahen, wenn der Bedürftige dauerhaft in einer festen sozialen Verbindung mit einem neuen Partner zusammenlebt, sie gemeinsam wirtschaften und der haushaltsführende Ehegatte wie in einer Ehe von dem anderen unterhalten wird. Eine Unterhaltsgemeinschaft erfordert, dass der Bedürftige in der neuen Gemeinschaft sein wirtschaftlich volles Auskommen findet, d.h. der neue Partner leistungsfähig ist.
Eine eheähnliche Gemeinschaft ist gegeben, wenn der Berechtigte zu einem neuen Partner ein auf Dauer angelegtes Verhältnis aufnimmt und das nichteheliche Zusammenleben gleichsam an die Stelle einer Ehe getreten ist. Maßgebend ist das Erscheinungsbild dieser Verbindung in der Öffentlichkeit. Dabei wird als Indiz für eine eheähnliche Gemeinschaft eine längere Dauer des Zusammenlebens verlangt. Als Mindestdauer werden von der Rechtsprechung zwei bis drei Jahre angesetzt. Denn vor Ablauf einer solchen Mindestzeit wird sich im Allgemeinen nicht verlässlich beurteilen lassen, ob die Partner nur "probeweise" oder auf Dauer in einer verfestigten Gemeinschaft leben und nach dem Erscheinungsbild der Beziehung in der Öffentlichkeit diese Lebensform bewusst auch für ihre weitere Zukunft gewählt haben. Weitere Indizien sind vor allem, dass die Partner die überwiegende Zeit außerhalb der Berufstätigkeit miteinander verbringen, familiäre Kontakte zu den Angehörigen des Partners pflegen, sich gegenseitig Hilfe und Unterstützung gewähren und gemeinsam wirtschaften, so dass nicht mehr nur von einer bloßen Freundschaft ausgegangen werden kann.
Unterhaltsgemeinschaft und eheähnliche Gemeinschaft schließen sich nicht wechselseitig aus, sondern gehen teilweise ineinander über. Der Sachverhalt lässt sich oft unter beide Kriterien subsumieren.
Erwirbt der an sich unterhaltsberechtigte Ehegatte mit seinem neuen Partner ein Grundstück, um darauf ein gemeinsames Haus zu bauen, spricht dies selbst dann für eine verfestigte Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1579 Nr. 2 BGB, wenn die Hausbaupläne aufgrund gestiegener Baukosten zurückgestellt oder ganz aufgegeben werden.
Die Anmietung einer gemeinsamen Wohnung in einer anderen Stadt und die Versetzung des Lebenspartners an diesen Ort sind ein entscheidendes Indiz dafür, dass die Partner ihre Lebensplanung in persönlicher und in beruflicher Hinsicht aufeinander abgestimmt haben und eine ausreichend feste Verbindung gegeben ist.
Auch das gemeinsame Erscheinen in öffentlichen Anzeigen wie z.B. die Benennung in der Todesanzeige für ein verstorbenes Familienmitglied kann als Indiz herangezogen werden.
Rz. 273
Die finanzielle Leistungsfähigkeit des neuen Partners spielt keine Rolle.
Rz. 274
Erforderlich ist nicht, dass die neuen Partner einen gemeinsamen Haushalt oder intime Beziehungen unterhalten.
Zitat
OLG Zweibrücken v. 10.12.2020 – 6 UF 74/19
Ein räumliches Zusammenleben und eine gemeinsame Haushaltsführung sind zwar für die Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft nicht zwingend erforderlich, ein gemeinsamer Haushalt ist aber regelmäßig ein gewichtiges Indiz hierfür
Rz. 275
Praxistipp
Ist die Beziehung auf Distanz angelegt, wird man die Lebensumstände im Einzelnen in Form einer Checkliste aufklären müssen:
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Wie ist das Alltagsleben gestaltet? |
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Wohnbereich (wem gehört die Wohnung und die Möbel, Eigentums- und Besitzverhältnisse, Schlüssel zur Wohnung, Namen auf Klingelschild und Briefkasten, Regelungen über Belastungen und Kosten, Mietvertrag, gemeinsamer Text auf Anrufbeantworter)? |
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Arbeitswoche (Versorgungsleistungen, wie werden die Mahlzeiten verbracht, Wäsche, Bügeln, Reinigung der Wohnung)? |
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Benutzung des Fahrzeugs des Partners, |
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Benutzung von Gegenständen des Partners, |
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Wie wird die Freizeit miteinander verbracht (gemeinsame Unternehmungen, Sport, Theater, Kino, Essen gehen, Tanzen, gemeinsame Unternehmungen mit den Kindern des Partners, gemeinsame Verwandtenbesuche)? |
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Gemeinsamer Urlaub, mit anderen Familienmitgliedern, finanzielle Beteiligung? |
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Wie werden Feiertage durchgeführt (Weihnachten, Ostern usw.)? |
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Sind die Partner bei Feierlichkeiten ... |