Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 263
Bei der Frage der sog. Verwirkung von Unterhaltsansprüchen ist zu unterscheiden zwischen
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dem Ausschluss oder der Einschränkung des Anspruchs für die Zukunft aufgrund bestimmter Umstände – i.d.R. eines Fehlverhaltens des Unterhaltsberechtigten. Dies ist geregelt in |
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dem Ausschluss der Durchsetzung des Anspruchs für die Vergangenheit (Unterhaltsrückstände) aufgrund nicht ausreichender Geltendmachung. |
I. "Verwirkung" von Ehegattenunterhalt § 1579 BGB, ggf. i.V.m. § 1361 Abs. 3 BGB
Rz. 264
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Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 1579 BGB ist die grobe Unbilligkeit, die sich
- aus einem vorwerfbaren Fehlverhalten des Unterhaltsberechtigten (§ 1579 Nr. 3 bis 7, Nr. 8 BGB) oder
- aus einer objektiven Unzumutbarkeit der Unterhaltsleistung für den Unterhaltspflichtigen (§ 1579 Nr. 1, 2, 8 BGB)
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ergeben kann.
Rz. 265
Rechtsfolge kann sein,
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die Beschränkung des Unterhaltsanspruchs für die Zukunft
- nach Höhe,
- zeitlicher Dauer der Leistung oder
- einer Kombination aus Höhe und Dauer
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oder seine vollständige Versagung. |
Daher liegt hier keine echte Verwirkung i.S.d. zwingenden vollständigen Verlustes des Anspruchs vor.
Rz. 266
Zusätzlich muss eine grobe Unbilligkeit als weitere Tatbestandsvoraussetzung vorliegen. Grobe Unbilligkeit wird verstanden als dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechend.
Praxistipp
Die Rechtsfolge des § 1579 BGB ist also nicht zwingend der völlige Wegfall des Unterhaltsanspruches.
Zu beachten ist, dass es nicht ausreicht, Umstände darzulegen und zu beweisen, die eine Verwirkung rechtfertigen könnten. Bei der sich zwingend anschließenden Billigkeitsbetrachtung kann das Gericht den Unterhaltsanspruch im Rahmen seines Ermessens in der Bandbreite von 0 bis 100 % reduzieren.
Daher ist es zwingend erforderlich, in gerichtlichen Verfahren nicht nur Ausführungen zur Tatbestandsseite der Norm zu machen, sondern auch anwaltlich Argumente zur Rechtsfolgeseite vorzutragen.
1. § 1579 Nr. 1 BGB – kurze Ehedauer
Rz. 267
Es ist zunächst von der tatsächlichen Ehezeit auszugehen und erst dann eine Abwägung vorzunehmen, ob und in welchem Umfang die Zahlungspflicht für den Verpflichteten auch unter Wahrung der Belange eines vom Berechtigten betreuten gemeinschaftlichen Kindes grob unbillig ist. Denn andernfalls würde bei Vorhandensein gemeinschaftlicher Kinder eine "kurze Ehe" nie gegeben sein.
Rz. 268
Damit wird auch verdeutlicht, dass die Kindesbelange und die Betreuung gemeinschaftlicher Kinder durch den Unterhaltsberechtigten einer Beschränkung des Unterhalts weder von vornherein noch grundsätzlich entgegenstehen, sondern dass bei der nach Bejahung einer "kurzen Ehedauer" durchzuführenden umfassenden Billigkeitsabwägung die Kindesbelange zu wahren und die Kindesbetreuung besonders zu berücksichtigen sind. Dabei sind nicht nur abgelaufene Kindererziehungszeiten, sondern auch Zeiten für noch in der Zukunft zu erbringende Betreuungsleistungen zu berücksichtigen. Allerdings ist hier nicht auf den Zeitrahmen des alten Altersphasenmodells, sondern der Neuregelung des § 1570 BGB abzustellen.
Rz. 269
Eine gesetzliche Definition der "kurzen" Ehedauer wird ausdrücklich nicht vorgenommen. Die Zeit des tatsächlichen Zusammenlebens – ggf. auch vor der Ehe – ist ohne Bedeutung. Auch das Alter der Eheleute spielt keine Rolle.
Rz. 270
Der BGH hat im Interesse der praktischen Handhabung des § 1579 Nr. 1 BGB die zeitlichen Bereiche, innerhalb derer eine Ehe in der Regel von kurzer oder nicht mehr von kurzer Dauer ist, dahin konkretisiert, dass eine nicht mehr als zwei Jahre betragende Ehedauer in der Regel als kurz, eine solche von mehr als drei Jahren hingegen nicht mehr als kurz zu bezeichnen ist, wobei es auf die Zeit von der Heirat bis zur Zustellung des Scheidungsantrags ankommt.
Rz. 271
Im Bereich von "Kurzzeitehen" sind Überschneidungen von § 1578b BGB mit § 1579 Nr. 1 BGB denkbar. Liegt eine kurze Ehe im Sinn des § 1579 Nr. 1 BGB vor, verengt sich der Entscheidungsspielraum des Gerichts. § 1579 Nr. 1 BGB ist daher in einschlägigen Fällen vorrangig zu prüfen.
2. Härtegrund aus § 1579 Nr. 2 BGB (neue Partnerschaft, verfestigte Lebensgemeinschaft)
a) Verfestigte Lebensgemeinschaft
Rz. 272
Mit dem Härtegrund des § 1579 Nr. 2 BGB wird kein vorwerfbares Fehlverhalten des Unterhaltsberechtigten sanktioniert, sondern es wird auf rein objektive Gegebenheiten bzw. Veränderungen in den Lebensverhältnissen des bedürftigen Ehegatten abgestellt, die eine dauerhafte Unterhaltsleistung unzumutbar erscheinen lassen. Entscheidend ist deswegen darauf abzustellen, dass der unterhaltsberechtigte frühere ...