Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 68
Die oben dargestellte Sperre, nach der ein Ausgleich der während der Ehe entstandenen Versorgungsnachteile regelmäßig bereits über den Versorgungsausgleich ausgeglichen worden ist, findet naturgemäß keine Anwendung mehr, wenn die Versorgungsnachteile auf Entwicklungen und Umstände erst nach der rechtskräftigen Scheidung zurückzuführen sind. Denn diese Nachteile werden vom – bereits abgeschlossenen – Versorgungsausgleich nicht mehr erfasst.
Allerdings sind später eintretende Nachteile selten ehebedingt. Solche Nachteile können aber durchaus im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach § 1578b BGB Bedeutung erlangen, wenn sie zumindest mittelbar ehebedingt sind, also als Spätfolgen der konkreten Lebensgestaltung während der Ehe angesehen werden können.
Rz. 69
Ein solcher Nachteil ist aber anzuerkennen, wenn die Berechtigte – mittelbar aufgrund der ehebedingten Entwicklungen – im Zeitraum nach der Scheidung keine Beschäftigungschance für eine angemessene Erwerbstätigkeit mehr hatte und damit für diesen Zeitraum auch keine – weiteren – Versorgungsanrechte erzielen konnte.
Rz. 70
Dies ist z.B. der Fall bei einer Verwaltungsangestellten, die während der Ehe aus dem öffentlichen Dienst ausscheidet. Wäre sie im öffentlichen Dienst verblieben, hätte sie auch nach der Ehescheidung noch Anwartschaften aus der öffentlichen Zusatzversorgung begründen können. Dieser – nicht mehr ausgleichbare – Nachteil führt dazu, die Befristung des Unterhaltsanspruchs abzulehnen.
Wenn der ehebedingte Nachteil allerdings darin zu sehen ist, dass die Berechtigte nach der Scheidung – und damit in einem nicht mehr vom Versorgungsausgleich erfassten Zeitraum – weiterhin in ihrer beruflichen Entwicklung und Entfaltung eingeschränkt ist, dann hätte dieser Nachteil durch Zahlung von Vorsorgeunterhalt (für diesen Zeitraum) kompensiert werden können (Haftungsfalle; zur Kompensation siehe Rdn 95).
Zitat
Ein ehebedingter Nachteil, der darin besteht, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte auch nachehelich geringere Versorgungsanrechte erwirbt, als dies bei hinweggedachter Ehe der Fall wäre, ist grundsätzlich als ausgeglichen anzusehen, wenn er für diese Zeit Altersvorsorgeunterhalt zugesprochen erhält oder jedenfalls erlangen kann.
Ein ehebedingter Nachteil, der darin besteht, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte nachehelich geringere Versorgungsanrechte erwirbt als dies bei hinweggedachter Ehe der Fall wäre, ist grundsätzlich als ausgeglichen anzusehen, wenn er Altersvorsorgeunterhalt hätte erlangen können (im Anschluss an BGH vom 26.2.2014 – XII ZB 235/12, FamRZ 2014, 823 und vom 7.11.2012 – XII ZB 229/11, FamRZ 2013, 109).
Der ehebedingte Nachteil geringerer Versorgungsanwartschaften setzt sich zwar fort, wenn ein Ehegatte auch nach der Ehezeit noch aufgrund der gewählten Rollenverteilung, insbesondere wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder, gehindert ist, ausreichende Rentenanwartschaften durch eigene Erwerbstätigkeit aufzubauen. Dieser Nachteil wird jedoch ausgeglichen, wenn der betreuende Ehegatte zum Zwecke der freiwilligen Erhöhung seiner Altersrente und Invaliditätsabsicherung einen über den Elementarunterhalt hinausgehenden Vorsorgeunterhalt gemäß § 1578 Abs. 3 BGB erlangen kann.
Der Unterhaltsberechtigten können Nachteile dadurch entstehen, dass sie nach Zustellung des Scheidungsantrags und damit in einer nicht mehr vom Versorgungsausgleich umfassten Zeit ehebedingt ein geringeres Erwerbseinkommen erzielt und demgemäß auch geringere Rentenanwartschaften erwirbt. Sofern sie lediglich die ehebedingte Einkommensdifferenz als Unterhalt erhält, setzt sich der ehebedingte Nachteil mit Renteneintritt in Form der geringeren Rentenanwartschaften fort. Durch Altersvorsorgeunterhalt könne dieser Nachteil ausgeglichen werden.
Praxistipp
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Für die anwaltliche Praxis bedeutsam ist die weitere Feststellung des BGH, dass in diesen Fällen ein solcher Nachteil ausgeglichen wird, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte Vorsorgeunterhalt zugesprochen erhält oder jedenfalls erlangen kann. |
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Abgestellt wird damit schon auf die Möglichkeit der Geltendmachung. Wer diese Möglichkeit nicht nutzt, kann sich daher nicht auf einen ehebedingten Nachteil berufen. |
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Auf die Frage, ob die Tatsache, dass dem Unterhaltspflichtigen durch die Nichtzahlung des Vorsorgeunterhaltes Vorteile erwachsen sind, im Rahmen der Billigkeitsabwägung berücksichtigt werden können, geht der BGH nicht ein. |
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Eine Kompensation scheidet aus, wenn der Pflichtige Vorsorgeunterhalt gar nicht hätte leisten können. Dies muss ggf. rückwirkend für längere Zeiträume festgestellt werden. Daraus ergeben sich erhebliche Berechnungsschwierigkeiten. |
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Konsequenz dieser Entscheidung ist, dass in der anwaltlichen Praxis verstärkt auch auf die Durchsetzung von Altersvorsorgeunterhalt geachtet werden muss. Denn die Unterhaltsbe... |