Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 339
Unterhaltszahlungen sollen zur Deckung des Lebensbedarfes dienen, nicht aber zur Vermögensbildung. Da ein Unterhaltsberechtigter mithin lebensnotwendig auf den Unterhalt angewiesen ist, kann der Unterhaltsschuldner auch zeitnah mit der Durchsetzung der Ansprüche rechnen. Denn der Unterhaltsverpflichtete wird seine Lebensführung an die ihm zur Verfügung stehenden Einkünfte anpassen. Wird er dann in größerem zeitlichem Abstand auf Zahlung von Unterhaltsrückständen in Anspruch genommen, können Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast angewachsen sein.
Rz. 340
Wird Unterhalt nicht zeitnah durchgesetzt, kann daher Verwirkung eingreifen (§ 242 BGB) und die Verzugsfolgen beseitigen. Verwirkung ist von Amts wegen zu berücksichtigen.
Die Verwirkung greift auch, wenn die Unterhaltsansprüche aus übergegangenem Recht vom Sozialhilfeträger geltend gemacht werden.
Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen.
Voraussetzung der Verwirkung ist, dass der Gläubiger den Unterhaltsanspruch längere Zeit nicht geltend macht (Zeitmoment) und beim Schuldner den Eindruck erweckt, er werde diesen Anspruch nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment). Neben dem reinen Zeitablauf müssen also immer auch besondere Umstände hinzutreten.
1. Zeitmoment
Rz. 341
Bei der Bemessung des "Zeitmomentes" ist nach der Rechtsprechung des BGH im Allgemeinen von einem Jahr auszugehen.
Zitat
Verwirkung eines nicht geltend gemachten Unterhaltsanspruchs
Dem Zeitmoment der Verwirkung stehen nicht nur eine Aufforderung zur Auskunftserteilung, eine Bezifferung des Unterhaltsanspruchs oder eine Zahlungsaufforderung einer Passivität entgegen, sondern auch Vorgänge, die zwar nicht unmittelbar der Durchsetzung des Anspruchs, aber ihrer Vorbereitung dienen, wie etwa das Einräumen von Stellungnahmefristen, die eine weitere Sachverhaltsaufklärung ermöglichen sollen.
Die Verjährung titulierter Kindesunterhaltsansprüche ist bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Berechtigten gehemmt.
Sie sind auch nicht verwirkt, wenn der Beistand des Berechtigten ausschließlich wegen fehlender Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zwar von einer Vollstreckung absieht, aber stets zu erkennen gibt, dass das Kind an seinen Ansprüchen festhält.
2. Umstandsmoment
Rz. 342
Das "Umstandsmoment" ist gegeben, wenn der Schuldner aufgrund des Verhaltens des Gläubigers davon ausgehen durfte, dass er nicht auf Zahlung in Anspruch genommen werde. Dabei kommt es jedoch nicht auf konkrete Vertrauensinvestitionen des Unterhaltsschuldners bzw. auf das Entstehen besonderer Nachteile durch die späte Inanspruchnahme an. Die bloße Untätigkeit des Berechtigten genügt dazu nicht.
Zitat
BGH v. 31.1.2018 – XII ZB 133/17
1. Ein nicht geltend gemachter Unterhaltsanspruch kann grundsätzlich schon vor Eintritt der Verjährung und auch während der Hemmung nach § 207 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB verwirkt sein.
2. Das bloße Unterlassen der Geltendmachung des Unterhalts oder der Fortsetzung einer begonnenen Geltendmachung kann das Umstandsmoment der Verwirkung nicht begründen.
3. Verwirkung titulierter Unterhaltsansprüche
Rz. 343
Auch titulierte Unterhaltsansprüche können verwirken. Der Gläubiger verwirkt einen rec...