Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 23
Der Gesetzeswortlaut zur Definition des ehebedingten Nachteils ist eindeutig:
Zitat
Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen.
Rz. 24
Praxistipp
Ehebedingte Nachteile liegen nur dann vor, wenn die Unterhaltsberechtigte nicht "ihr eigenes Geld" verdienen kann.
Abzustellen ist dabei auf das – fiktiven – Einkommen der Unterhaltsberechtigten in ihrem – fiktiven – Lebensverlauf als ledige Erwerbstätige in ihrem gelernten und früher ausgeübten Beruf.
Maßgeblich ist das hypothetische (Netto-)Einkommen, das sie ohne Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Es ist fiktiv anhand der Steuerklasse I ohne Kinderfreibetrag zu ermitteln.
Rz. 25
Dabei kommt es entscheidend auf die zukünftigen Auswirkungen an. Maßgeblich ist folglich nicht, ob und ggf. wie intensiv derartige Nachteile in der Vergangenheit vorhanden gewesen sind, sondern allein, wie sich die damaligen Einschränkungen als fortwirkende Nachteile für die zukünftige berufliche Entwicklung des unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten auswirken werden, der dadurch eine schlechtere Position im Erwerbsleben hat.
Rz. 26
Hier kann einmal auf die erschwerte berufliche Re-Integration nach längerer Unterbrechung der Berufstätigkeit abgestellt werden, aber auch auf Schwierigkeiten bei der Aufstockung von einer Teilzeittätigkeit zur Vollzeittätigkeit oder auch verpasste Aufstiegschancen.
Rz. 27
Ehebedingte Nachteile liegen folglich vor, wenn die Gestaltung der Ehe, insbesondere die Arbeitsteilung der Ehegatten, die Fähigkeit eines Ehegatten, für seinen Unterhalt selbst zu sorgen, beeinträchtigt hat.
Rz. 28
Praxistipp
Es kommt entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls an.
Zur Darlegung der tatbestandlichen Voraussetzungen ist im gerichtlichen Verfahren umfassender anwaltlicher Sachvortrag erforderlich.
In der anwaltlichen Beratung im Vorfeld muss der Mandant entsprechend informiert und die erforderlichen Sachverhaltsangaben erfragt werden (Haftungsfalle!).
Dabei muss verstärkt der Lebenslauf des Unterhaltsberechtigten abgeklärt werden, um herauszuarbeiten, inwieweit ehebedingte Nachteile zu verzeichnen waren und weiter fortwirkend sind, um eine Befristung mit möglichst vielen Fakten als unbillig erscheinen zu lassen.
Wertvolle Informationen zum beruflichen Vorleben der Unterhaltsberechtigten liefert der Versicherungsverlauf aus dem Versorgungsausgleich. Da im Unterhaltsverfahren kein Amtsermittlungsgrundsatz herrscht, muss diese Information durch entsprechenden anwaltlichen Sachvortrag in die Akte des Unterhaltsverfahrens eingeführt werden.
Rz. 29
Die folgenden Fallgruppen haben praktische Bedeutung:
1. |
Tatsächliche Tätigkeit im erlernten Beruf |
Arbeitet der unterhaltsberechtigte Ehegatte in seinem erlernten Beruf (wieder) vollschichtig, so scheidet die Annahme ehebedingter Nachteile regelmäßig aus.
2. |
Hypothetische Tätigkeit im erlernten Beruf |
Wenn die Unterhaltsberechtigte tatsächlich nicht wieder in ihrem erlernten Beruf arbeitet, darin aber wieder tätig werden könnte, ist davon auszugehen, dass ebenfalls keine ehebedingten Nachteile mehr vorhanden sind. Die Darlegungslast für eine solche fehlende Möglichkeit trägt die Unterhaltsberechtigte.
3. |
Einschränkungen beim tatsächlich erzielten Einkommen trotz vollschichtiger Tätigkeit der Unterhaltsberechtigten |
Arbeitet die Unterhaltsberechtigte vollschichtig und erzielt dennoch ein geringeres Einkommen, so stellt sich zuerst die Frage, ob sie mit der konkret ausgeübten Tätigkeit ihren Erwerbsobliegenheiten genügt.
Rz. 30
Praxistipp
Der Unterhaltspflichtige wird hier oft argumentieren wollen, die Berechtigte könne in ihrem alten Beruf wieder einsteigen und dadurch ein weitaus höheres Einkommen erzielen, als sie dies in ihrer aktuellen Tätigkeit erziele.
Hier sollte aber aus Sicht des Unterhaltspflichtigen größte Vorsicht geboten. Eine realistische Einschätzung der tatsächlichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt sollte vorgenommen werden.
Fallbeispiel zur Erläuterung:
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Der Unterhaltspflichtige trägt vor, die 52 Jahre alte Unterhaltsberechtigte könne ohne Probleme in ihren alten Beruf wieder einsteigen und dann ein Einkommen von z.B. 1.800 EUR verdienen. |
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Das Gericht verneint eine reale Beschäftigungschance mit Hinblick auf die Tatsache, dass die 52 Jahre alte Unterhaltsberechtigte seit 10 Jahren nicht mehr in ihrem angestammten Beruf tätig war und alle beruflichen Veränderungen nicht mitbekommen hat. Auf dem Arbeitsmarkt habe sie in einem Bewerberfeld mit zahlreichen jüngeren, durchgehend erwerbstätigen Konkurrentinnen keine reale Chance, in ihrem alten Job wieder tätig zu werden. |
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Tatsächlich ist die Unterhaltsberechtigte in einem anderen, geringer qualifizierten, Beruf tätig und erzielt ein Einkommen von lediglich 1.200 EUR. |
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Bei der Diskussion um den Umfang des ehebedingten Nachteils wird der Unterhaltspflichtige sich jetzt daran festhalten lassen müssen (§ 288 ZPO) sel... |