Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 82
Sind ehebedingte Nachteile konkret eingetreten, so kann sich die Frage eines möglichen Ausgleichs oder der Kompensation stellen. Denn der (ehebedingte) Nachteil rechtfertigt nur dann einen fortdauernden Unterhaltsanspruch, wenn dieser Nachteil nicht zwischenzeitlich entfallen oder durch andere mit der Ehe verbundene Vorteile – auch nach der Ehescheidung – kompensiert worden ist. Auch dies ist im Rahmen der Billigkeitsüberlegungen zu beachten.
Rz. 83
Praxistipp
Die Entwicklung der Rechtsprechung scheint hier noch nicht abgeschlossen. Dabei wird der Begriff der "Kompensation" auch mit unterschiedlichen Bedeutungen unterlegt. Die Argumentation
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geht einmal in Richtung anderweitiger Vorteile, die gegen den Nachteil aufgewogen werden, |
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zum anderen wird aber auch auf den Wegfall oder die (mögliche) Beseitigung des Nachteils selbst abgestellt, der durch den eingetretenen Vorteil als ausgeglichen anzusehen ist. |
Rz. 84
Eine solche im Rahmen der Billigkeitsabwägung zu berücksichtigende Kompensation ist von der Rechtsprechung in verschiedenen Fallgestaltungen erörtert worden.
1. Kompensation durch Zugewinn oder Zuwendung von Vermögenswerten
Rz. 85
Zitat
Ein ehebedingter Nachteil, der darin besteht, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte auch nachehelich geringere Versorgungsanrechte erwirbt, als dies bei hinweggedachter Ehe der Fall wäre, ist grundsätzlich als ausgeglichen anzusehen, wenn er für diese Zeit Altersvorsorgeunterhalt zugesprochen erhält oder jedenfalls erlangen kann
Allerdings beschränkt sich die Teilhabe der Ehefrau am Vermögensaufbau des Ehemannes nicht auf die ihr im Versorgungsausgleich übertragenen Versorgungsanrechte, sondern ihr kommt über den modifizierten Zugewinnausgleich zusätzlich weiteres Vermögen des Ehemannes zugute. Dieser ehebedingte Vorteil ist geeignet, einen etwaigen ehebedingten Nachteil zu kompensieren. Denn auch das aufgrund der Ehe erlangte Vermögen kann ehebedingte Versorgungsnachteile kompensieren; das gilt nur dann nicht, wenn der mit den Versorgungsnachteilen belastete Ehegatte auch ohne die Ehe ein vergleichbares Privatvermögen hätte aufbauen können.
Allerdings können zunächst entstandene Nachteile durch andere mit der Ehe verbundene Vorteile kompensiert worden sein. Insofern sind die Ausgleichszahlungen des Klägers von 150.000 DM und von 50.000 DM zu berücksichtigen. Die Höhe dieser Leistungen spricht dafür, dass der Beklagten eventuelle ehebedingte Versorgungsnachteile nicht verblieben sind, da sie ohne die Eheschließung und die gewählte Rollenverteilung vermutlich nicht besser gestanden hätte, als sie tatsächlich steht.
Rz. 86
Praxistipp:
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Von Bedeutung ist – auch im Unterschied zu den nachfolgenden Fallgruppen – dass diese Vorteile in Form von Vermögenszuwendungen für die Berechtigte bereits jetzt wirtschaftlich nutzbar sind. |
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Die eigene Einkommens- und Vermögenslage und die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten können damit auf diesem Wege mittelbar auch Auswirkungen auf den nachehelichen Unterhaltsanspruch haben. |
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Bei Vereinbarungen zwischen den Eheleuten über die abschließende Vermögensregelung bei der Scheidung sollten diese mittelbaren Konsequenzen bedacht und ggf. ausdrücklich und verbindlich geregelt werden, um spätere Auslegungsprobleme und Streitigkeiten zu vermeiden. |
Rz. 87
Zitat
Ob ehebedingte Nachteile entstanden sind, ist zu ermitteln, indem die Lage, wie sie sich ohne Eheschließung und die gewählte Rollenverteilung ergeben hätte, und die tatsächlich bestehende Lage gegenübergestellt werden. Dabei können zunächst entstandene Nachteile durch andere mit der Ehe verbundene Vorteile – auch nach der Ehescheidung – kompensiert worden sein. Im vorliegenden Fall sind im Hinblick auf einen seit 1980 entstandenen Nachteil in der Altersvorsorge der Beklagten insbesondere die Vermögenszuwendungen des Unterhaltspflichtigen an die Berechtigte und der vom Unterhaltspflichtigen geleistete Altersvorsorgeunterhalt zu berücksichtigen.
Rz. 88
Zitat
BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 11/09
Im Übrigen greift die Revision die Bemessung des auszugleichenden ehebedingten Nachteils, insbesondere der gegenzurechnenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, nicht an.
Rz. 89