Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 108
Die Unterhaltsberechtigte ist gehalten, nach seinen Möglichkeiten vorhandene Nachteile abzubauen (Fortbildung, Umschulung, berufliche Wiedereingliederungsmaßnamen). Genügt sie diesen Anforderungen, wir dies als Billigkeitsargument zu ihren Gunsten berücksichtigt. Die Verletzung einer solchen unterhaltsrechtlichen Obliegenheit führt also dazu, dass die Berechtigte fiktiv so behandelt wird, als sei der Nachteil nicht mehr vorhanden.
Rz. 109
Zitat
OLG Frankfurt, Urt. v. 29.11.2011 – 3 UF 285/09
Die Beklagte hat eine qualifizierte akademische Ausbildung und übt nach der Berufspause keine andere – demgemäß eben auch keine schlechtere – Tätigkeit aus, als vor ihrer Heirat mit dem Kläger. Die durch die Berufspause eingetretenen Defizite können durch Fortbildungsmaßnahmen und im Laufe der Zeit durch wieder zu gewinnende Routine ausgeglichen werden.
Rz. 110
Auch wenn eine solche Möglichkeit zum Abbau bereits in der Vergangenheit bestand und sie nicht genutzt wurde, kann daran ein unterhaltsrechtlicher Vorwurf angeknüpft werden. Hier stellt sich in der Praxis die Frage, von welchem Zeitpunkt an der Berechtigten eine solche Obliegenheit auferlegt werden kann.
Rz. 111
Zitat
OLG Frankfurt, Urt. v. 21.7.2010 – 2 UF 63/10
Bei der Gesamtabwägung muss berücksichtigt werden, dass die Beklagte bei Trennung der Eheleute 40 Jahre alt war, bei der Ehescheidung 42 Jahre, zum Zeitpunkt der jetzigen Entscheidung 59 Jahre. Es ist nicht erkennbar, dass die Beklagte in der Vergangenheit ernsthafte Anstrengungen unternommen hat, wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen. Sie hat trotz eingeschränktester wirtschaftlicher Möglichkeiten bis zur Klageerhebung rund 14 Jahre lang darauf vertraut, dass ihr Lebensunterhalt durch Unterhaltszahlungen sichergestellt wird.
Praxistipp
Für die praktische Behandlung dieser Fälle sind zwei Gesichtspunkte von Bedeutung:
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Wie lange ist der erforderliche Zeitraum bis zur erfolgreichen Beseitigung des Nachteils zu bemessen? |
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Wann hätte die Berechtigte mit ihren Anstrengungen beginnen müssen? |
Zu beiden Punkten ist anwaltlicher Sachvortrag erforderlich!
Ist der Zeitraum abgelaufen, den die Berechtigte hätte nutzen müssen, wird sie fiktiv so behandelt, als sei ihr Nachteil nicht mehr vorhanden.
In der Praxis kann auf verschiedene Zeiträume abgestellt werden, in denen die Unterhaltsberechtigte mit den notwendigen Maßnahmen hätte beginnen müssen:
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Zeitraum nach Rechtskraft der Scheidung, |
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Zeitraum ab Zustellung des Scheidungsantrages, |
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Zeitraum ab Trennung, |
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Zeitraum der intakten Ehe. |
1. Zeitraum nach Rechtskraft der Scheidung
Rz. 112
Dabei kann einmal auf den Zeitraum nach Rechtskraft der Scheidung abgestellt werden.
Tritt z.B. eine Erwerbsunfähigkeit erst längere Zeit nach der Scheidung ein, so hätte für die Unterhaltsberechtigte die Möglichkeit bestanden, durch eigene Erwerbstätigkeit den 5-Jahreszeitraum abzudecken mit der Folge, dass ihr nunmehr eine Erwerbsunfähigkeitsrente gezahlt würde – und zwar auf der Basis der durch den Versorgungsausgleich aufgestockten Rentenanwartschaften.
2. Zeitraum ab Trennung
Rz. 113
Teilweise wird bereits während der Zeit der Trennung schon eine solche unterhaltsrechtlich relevante Obliegenheit zum Abbau des Nachteils bejaht.
Zitat
OLG Frankfurt v. 26.1.2009 – 2 UF 253/08
Wegen der neunjährigen Familienphase von Oktober 1982 bis 1991, lediglich unterbrochen durch eine einjährige Teilzeitbeschäftigung, sind der Beklagten sicherlich gewisse ehebedingte Nachteile im beruflichen Fortkommen entstanden. Diese Nachteile hätten jedoch nach der Trennung, bei der die Beklagte erst 42 Jahre, die Kinder jedoch schon 12 Jahre alt waren, kompensiert werden können.
3. Zeitraum der Ehe vor der Trennung
Rz. 114
Vereinzelt wurde auch eine solche Obliegenheit schon für den weiter zurückliegenden Zeitraum der intakten Ehe vor der Trennung angenommen. Dies ist aber mit der Rechtsprechung des BGH unvereinbar, nach der es allein auf die objektive Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse ankommt, weshalb im Rahmen der Abwägung des § 1578b BGB nicht etwa eine Aufarbeitung ehelichen Fehlverhaltens stattfindet, siehe Rdn 20.