Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 135
Der BGH betont in ständiger Rspr., dass § 1578b BGB nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile beschränkt ist, sondern auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität erfasst, die auch beim Aufstockungsunterhalt einer Befristung des Unterhaltsanspruchs aus Billigkeitsgründen entgegenstehen kann. Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen. Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen.
Das Maß der geschuldeten nachehelichen Solidarität bestimmt sich neben der Ehedauer vor allem durch die wirtschaftliche Verflechtung, die durch den Verzicht des haushaltsführenden Ehegatten auf eine eigene Erwerbstätigkeit eingetreten ist.
Zitat
BGH v. 25.9.2019 – XII ZB 25/19, Rn 52
§ 1578b BGB beschränkt sich allerdings nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität (Dose, FamRZ 2011, 1341, 1347). Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen. Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. Wesentliche Aspekte hierbei sind neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung. Bei der Beurteilung der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien von Bedeutung, so dass der Tatrichter in seine Abwägung auch einzubeziehen hat, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist und in welchem Maße der Unterhaltspflichtige – unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten – durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird. In diesem Zusammenhang kann auch eine lange Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen bedeutsam sein (Senatsbeschluss v. 4.7.2018 – XII ZB 448/17, FamRZ 2018, 1506 Rn 24 m.w.N.).
Rz. 136
Praxistipp
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Hier kann eine Vielzahl von Argumenten sowohl auf Seiten der Unterhaltsberechtigten als auch des Unterhaltspflichtigen Bedeutung gewinnen, die durch entsprechenden konkreten anwaltlichen Sachvortrag in das gerichtliche Verfahren eingebracht werden müssen. |
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Mangelnder Sachvortrag kann nicht nur zu einer für die eigene Partei negativen Sachentscheidung führen, sondern stellt auch ein erhebliches Haftungsrisiko für den beratenden Anwalt dar. |
Rz. 137
Beispiel aus der Rechtsprechung
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(2) Auch unter dem Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität ist eine unbegrenzte Teilhabe an den wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers vorliegend nicht geboten, wie das Amtsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat.
Für die notwendige umfassende Billigkeitsprüfung ist es jedoch nicht ausreichend, wie das Amtsgericht meint, pauschal eine "Schonfrist" von einem Drittel der Ehezeit für die Berechnung eines nachehelichen Unterhaltsanspruchs anzunehmen, sondern es sind jeweils die konkrete Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Bei der hier vorzunehmenden umfassend Billigkeitsabwägung ist zunächst die Dauer der Ehe der Beteiligten zu berücksichtigen. In den Fällen, in denen die fortwirkende nacheheliche Solidarität den wesentlichen Billigkeitsmaßstab bildet, gewinnt die Ehedauer und die hierdurch erfolgte wirtschaftliche Verflechtung an Gewicht, die insbesondere durch den Verzicht auf eine eigene Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder wegen der Haushaltsführung eingetreten ist.
Die Ehezeit beträgt vorliegend nicht, wie das Amtsgericht angenommen hat, 17 Jahre und 2 Monate, sondern deutlich längere 23 Jahre und 7 Monate. Das Amtsgericht hat die Ehezeit unrichtig berechnet, indem es auf den Zeitpunkt der Trennung abgestellt hat und nicht, wie notwendig, die Ehezeit vom Zeitpunkt der Eheschließung (12.9.1994) bis zur Zustellung des Ehescheidungsantrages (11.5.2018) berechnet hat. Schon aus diesen Gründen können die Ausführungen des Amtsgerichts zur Befristung des Unterhaltsanspruchs keinen Bestand haben.
Weiter sind die Kindererziehungszeiten zu berücksichtigen. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass sich die Antragsgegnerin seit der Geburt des ältesten Kindes V. im Jahr 1995 im Wesentlichen um die Betreuung und Pflege der drei gemeinsamen Kinder und die Führung des Haushalts gekümmert hat, während der Antragsteller einer vollzeitigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. 2011, also 16 Jahre nach Aufgabe ihrer Berufstätigkeit, hat die Antragsgegnerin wieder eine halbschichtige Täti...