Carsten Beisheim, Gertrud Romeis
Rz. 4
Ungeachtet des zukünftig bestehenden Rahmens nach dem Hinweisgeberschutzgesetz ist die Zulässigkeit sog. Whistleblowing-Klauseln umstritten. Entsprechende Vorgaben finden sich häufig in Compliance-Richtlinien von Unternehmen und beinhalten Verpflichtungen, Normverstöße nach einem festgelegten Verfahren an die dafür nun einzurichtenden Stellen zu melden (Küttner/Kania, Personalbuch 2021, Whistleblowing, Rn 12). Insoweit gilt Folgendes: Wenn eine Whistleblowing-Regelung lediglich eine unverbindliche Erwartungshaltung zur Anzeige von Verstößen gegen Compliance-Regeln enthält, ist dies rechtlich problemlos möglich (Küttner/Kania, Personalbuch 2021, Whistleblowing, Rn 13). Probleme können sich nur dann ergeben, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern eine Meldepflicht auferlegt. Viele Compliance-Regelungen sehen dabei vor, dass grundsätzlich jedes rechtswidrige Verhalten anzuzeigen ist.
In Bezug auf die Zulässigkeit derartiger Regelungen muss differenziert werden:
Rz. 5
Der Arbeitnehmer ist aufgrund der ihm obliegenden Treuepflicht angehalten, ihm bekannte Informationen über wesentliche Vorkommnisse im Unternehmen und insbesondere einen dieses betreffenden möglichen Schaden an den Arbeitgeber weiterzuleiten (st. Rspr. BAG v. 1.6.1995 – 6 AZR 912/94, BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02; BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 400/05; Küttner/Kania, Personalbuch 2021, Whistleblowing, Rn 11. Dies gilt auch, wenn Normverstöße von anderen Arbeitnehmern ausgehen (BGH v. 23.2.1989 – IX ZR 236/86; Müller-Bonanni/Sagan, BB 2008, BB Special 5 zu Heft 25, 28, 31). Bei dieser Anzeigeverpflichtung ist jedoch eine Zumutbarkeitsgrenze gegeben. So hat eine Interessenabwägung zu erfolgen, bei der auch zu beachten ist, welche Nachteile und Risiken sich für den Arbeitnehmer im Fall einer Offenlegung ergeben können (Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43, 48 f.). Die Rechtsprechung hat jedenfalls eine Meldeverpflichtung in einem Fall von vermutetem Fehlverhalten Dritter angenommen, wenn dem Arbeitnehmer wegen seiner Stellung im Unternehmen eine Kontrollpflicht obliegt, er das Fehlverhalten in seinem Arbeitsbereich beobachtet und eine Wiederholungsgefahr besteht (BAG v. 18.6.1970 – 1 AZR 520/69; Mahnhold NZA 2008, 737, 739; Mengel/Hagemeister, BB 2007, 1386, 1389). Führungskräfte unterliegen insoweit aufgrund ihrer Treuepflicht einer besonderen Verpflichtung (Bissels/Lützeler, BB 2012, 189, 190; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 243).
Ob der Arbeitnehmer darüber hinaus verpflichtet ist, dem Arbeitgeber jedwede schädigende Handlung zu melden, ist noch nicht abschließend geklärt. Das BAG hat diese Frage bislang offengelassen (Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43, 49, m.w.N.).
Rz. 6
Einhellige Meinung in der Literatur ist, dass eine Pflicht zur Selbstbelastung nicht besteht. Das ergibt sich bereits aus dem strafrechtlichen Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare (Kempter/Steinat, NZA 2017,1505, 1511; Schulz, BB 2011, 629, 633; BGH v. 23.2.1989 – IX ZR 236, 86).
Rz. 7
Praxistipp
Eine zulässige Whistleblowing-Verpflichtung könnte wie folgt formuliert werden (Fahrig, NJOZ 2010, 975, 978; restriktiver: Marschlich in Hauschka, 3. Aufl. 2016, § 7 Dokument 6, Nr. 2):
Zitat
"Arbeitnehmer, die feststellen, dass es während der Arbeit oder im Rahmen des außerbetrieblichen Bereichs zu unrechtmäßigem Verhalten im Sinne dieses Verhaltenskodexes gekommen ist oder einen entsprechenden Verdacht haben, müssen dies melden. Die Arbeitnehmer haben die Informationen über unrechtmäßiges Verhalten der Arbeitskollegen grundsätzlich unverzüglich dem Unternehmen anzuzeigen; es sei denn, ihnen ist die Anzeige aufgrund entgegenstehender berechtigter Interessen unzumutbar."
Alternativ bietet sich die folgende Formulierung an (Schulz, BB 2011, 629, 634):
Zitat
"Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, ihm bekannt gewordenes Fehlverhalten von anderen Arbeitnehmern und Dritten gegenüber dem Arbeitgeber anzuzeigen, wenn ein konkreter Verdacht gegeben ist, das Fehlverhalten im sachlichen, räumlichen und personalbezogenen Zurechnungszusammenhang zum Unternehmen besteht, das Fehlverhalten dazu geeignet ist, das Unternehmen zu schädigen und das Fehlverhalten mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist."