Rz. 2

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, an Interviews zur Aufklärung von Compliance-Verstößen im Unternehmen teilzunehmen. Die Pflicht ergibt sich aus dem Weisungsrecht des Arbeitgebers (Rudkowski, NZA 2011, 612, 612; Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4212 f.). Zwar ist das Weisungsrecht dergestalt eingeschränkt, dass die Weisung billigem Ermessen entsprechen muss und die grundrechtlich geschützten Interessen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber respektiert werden müssen. Allerdings ist eine Rechtsposition, die den Arbeitnehmer berechtigt, einem Interview fern zu bleiben, nicht erkennbar. Auch spricht das Aufklärungsinteresse des Arbeitgebers für eine Teilnahmepflicht (Hauschka/Moosmayer/Lösler/Mengel, Corporate Compliance, 2016, § 39 Rn 103; Rudkowski, NZA 2011, 612, 612).

 

Rz. 3

Der Arbeitnehmer ist ferner dazu verpflichtet, den Sachverhalt vollständig und wahrheitsgemäß darzustellen. Sofern er Gefahr läuft, sich selbst oder einen nahen Angehörigen zu belasten, wird man ihm jedoch ein Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 50, 55 StGB und §§ 383, 384 ZPO zugestehen müssen – dies allein schon wegen der ggf. nachfolgenden Verwendung der Aussage durch staatliche Stellen. Zur Vermeidung von Rechtsrisiken ist der Arbeitnehmer entsprechend und dokumentiert zu belehren. Nach anderer Ansicht können arbeitsrechtliche Aussagepflichten, die mit dem strafrechtlichen Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare kollidieren, mit arbeitsrechtlichen Sanktionen durchgesetzt werden (Rotsch/Rotsch, Criminal Compliance, 2015, S. 72 m.w.N.).

 

Rz. 4

Dem Betriebsrat steht bei Mitarbeiterinterviews, die die Aufklärung von Compliance-Verstößen zum Gegenstand haben, kein Anwesenheitsrecht zu (vgl. Bissels/Lützeler, BB 2012, 189, 190). Ein solches ergibt sich für den Betriebsrat nur, wenn in dem Gespräch auch Leistungsbeurteilungen und die berufliche Entwicklung des Arbeitnehmers thematisiert werden (Rudkowski, NZA 2011, 612, 615; vgl. Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4213; Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853, 1854). Denn dann wäre nach § 82 Abs. 2 S. 2 BetrVG auf Wunsch des Arbeitnehmers ein Mitglied des Betriebsrates bei dem Gespräch hinzuzuziehen. Dem Arbeitgeber ist daher zu empfehlen, dass Leistungsbeurteilungen und Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung bei Mitarbeiter-Interviews zur Aufklärung von Compliance-Verstößen nicht angesprochen werden sollten (Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853, 1854).

 

Rz. 5

Möglich ist, dass der Arbeitnehmer nur gewillt ist, Auskunft zu erteilen, wenn bei dem Interview ein Rechtsanwalt seiner Wahl zugegen ist. Ein Anspruch auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ist dem Arbeitnehmer grundsätzlich nicht einzuräumen (Hauschka/Moosmayer/Lösler/Mengel, Corporate Compliance, 2016, § 39 Rn 104; Rudkowski, NZA 2011, 612, 614; a.A. aber Leipold, NJW-Spezial 2011, 56, 56, der eine Beiziehung eines anwaltlichen Beistands aufgrund des arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmegebots für geboten hält). Das Interview betrifft nur die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und stellt damit eine interne Angelegenheit dar (Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4213).

Ein Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsbeistands kommt aber jedenfalls dann in Betracht, wenn sich der Arbeitnehmer strafrechtlichen Beschuldigungen ausgesetzt sieht und die Gefahr besteht, dass er sich in dem Interview strafrechtlich belasten könnte (Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 244; Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4213). Eine Hinzuziehung eines Anwalts ist darüber hinaus zu erwägen, wenn der Arbeitgeber seinerseits Rechtsanwälte mit den Ermittlungen und der Durchführung der Gespräche beauftragt oder diese bei den Interviews anwesend sind. In einem solchen Fall sollte wegen des Grundsatzes der Waffengleichheit auch dem Arbeitnehmer die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gestattet sein (Bissels/Lützeler, BB 2012, 189, 190; Rudkowski, NZA 2011, 612, 614).

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