Rz. 18
Tatsächlich neu ist die ausdrückliche Regelung einer an das Aktienrecht angelehnten und von dort bekannten, US-amerikanisch inspirierten sog. Business-Judgement-Rule für die Stiftungsorganmitglieder in § 84a Abs. 2 S. 2 BGB n.F. Mit Blick auf die Praxis wird man sagen dürfen, dass die Business-Judgement-Rule allgemeinen haftungsrechtlichen Rechtsgrundsätzen entspricht und damit bereits geltendes Recht zur Stiftung gewesen sein dürfte. Nichts anderes meint die Gesetzesbegründung, wenn sie zu der neuen gesetzlichen Regelung betont, ein Organmitglied, das zur Führung der Geschäfte der Stiftung berufen ist, habe bei seiner Tätigkeit die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers anzuwenden. Genau betrachtet ist hier also nichts Materielles aus den USA importiert worden. Man möchte wohl offensichtlich eine internationale US-amerikanische Bezeichnung. Dennoch ist die gesetzliche Klarstellung zu begrüßen.
Rz. 19
Bei der Business-Judgement-Rule handelt es sich, vereinfacht ausgedrückt, um einen möglichen Haftungsausschluss bei zwar im Nachhinein wirtschaftlich nachteiligen, aber nach den Bestimmungen der Norm mit einem gewissen Risiko vertretbaren Geschäftsführungsentscheidungen. Besondere Bedeutung hat das hier ersichtlich, wie auch die Gesetzesbegründung vermerkt, bei Entscheidungen über die Anlage des Stiftungsvermögens.
Nach der neuen Vorschrift liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, "wenn das Mitglied des Organs bei der Geschäftsführung unter Beachtung der gesetzlichen und satzungsgemäßen Vorgaben vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Stiftung zu handeln."
Das entspricht weitgehend dem Wortlaut des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, wobei gegenüber der aktienrechtlichen Vorschrift anstelle von Vorstandsmitgliedern hier allgemein auf Organmitglieder der Stiftung abgestellt wird. Zudem heißt es anstelle von "… bei einer unternehmerischen Entscheidung…" in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG hier "… bei der Geschäftsführung unter Beachtung der gesetzlichen und satzungsgemäßen Vorgaben…".
Eine grundlegend abweichende Bewertung bei Anwendung der stiftungsrechtlichen Business-Judgement-Rule ist, wegen dieser Abweichungen des Wortlauts, aktuell nicht ersichtlich, zumal auch im Aktienrecht als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal gilt, dass von vornherein nur rechtmäßige, also gesetzes- und satzungskonforme Entscheidungen potenziell haftungsausschließend sind. Wenn überhaupt, dann dürfte durch die ausdrückliche Einbeziehung sämtlicher Organmitglieder und allgemein deren Geschäftsführung der Anwendungsbereich im Stiftungsrecht tendenziell weiter als im Aktienrecht gefasst sein.
Rz. 20
Grundsätzlich wird man zu § 84 Abs. 2 S. 2 BGB n.F. auf die reichhaltige Literatur und Rechtsprechung zu § 93 Abs. 1 S. 2 AktG zurückgreifen können. Entscheidend bleibt auch mit der Business-Judgement-Rule zum einen die sorgfältige und möglichst gut dokumentierte Entscheidung auf der Grundlage angemessener Informationen, d.h. das betreffende Organmitglied muss in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpfen, auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung tragen.
Zum anderen muss das Organmitglied vernünftigerweise annehmen dürfen, auf dieser Grundlage zum Wohle der Stiftung zu handeln. Das betrifft zunächst die subjektive Perspektive des Handelnden, der von einer wirtschaftlich positiven (insb. langfristig ertragsstärkenden) Wirkung ausgeht. Objektiv begrenzt wird dies durch den Maßstab des "vernünftigerweise" noch zulässigen Handelns, der jedenfalls im Aktienrecht relativ weit gefasst ist und erst überschritten werden soll, wenn das mit der unternehmerischen Entscheidung verbundene Risiko "in völlig unverantwortlicher Weise falsch beurteilt worden ist". Einer Entscheidung zum Wohle der Stiftung steht ersichtlich zudem die sachliche Befangenheit des Entscheidenden, also insb. tatsächliche oder potenzielle Interessenkonflikte, entgegen.
Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung mit Blick auf die Besonderheiten des Stiftungsrechts diese Norm zukünftig "mit Leben füllen" wird.