Frank-Michael Goebel, Dr. Jochen Schatz
Rz. 299
Lange Zeit war in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob eine Pfändung in eine offene Kreditlinie möglich ist. Nunmehr hat der BGH entschieden, dass Ansprüche des Bankkunden gegen sein Kreditinstitut aus einem vereinbarten Dispositionskredit grundsätzlich pfändbar sind. Hieran wollte der Gesetzgeber mit der Reform der Kontopfändung auch nichts ändern. Zu einer Einziehung kommt es allerdings nur dann, wenn der Schuldner als Bankkunde diesen Dispositionskredit auch abruft.
Rz. 300
Der BGH geht davon aus, dass die Vereinbarung eines Dispositionskredits dem Vollstreckungsschuldner grundsätzlich einen Anspruch auf Auszahlung der vereinbarten Kreditmittel gegen das Kreditinstitut gibt. Dabei kommt es nicht darauf an, wie diese Kreditmittel abgerufen werden (Barabhebung, Überweisung etc.). Auch die Zweckrichtung der Anweisung ist unerheblich, wenn dies – wie bei einer offenen Kreditlinie immer der Fall – nicht vereinbart ist. Damit ist der Auszahlungsanspruch als Vermögensanspruch pfändbar. Es gibt allerdings keine Pflicht des Vollstreckungsschuldners, die eingeräumte Kreditlinie auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Ruft der Schuldner also den Anspruch auf Auszahlung des Kreditanspruchs nicht ab, ist die zukünftige Auszahlungsforderung zwar pfändbar, führt aber nicht zu einziehbaren Beträgen.
Rz. 301
Die Frage, ob das Abrufrecht des Schuldners selbstständig pfändbar ist und durch den Vollstreckungsgläubiger ausgeübt werden kann, hat der BGH lange ausdrücklich offengelassen, während die Frage in der Literatur umstritten war. Zwischenzeitlich hat der BGH die Streitfrage allerdings dahin entschieden, dass das Abrufrecht nicht gepfändet werden dürfe, da es ein höchstpersönliches Recht sei.
Rz. 302
Hinweis
Die Rechtsprechung wird vom Gläubiger hinzunehmen sein, wenngleich sie in der Sache nicht überzeugt. Die Mittel stehen dem Schuldner zur freien Verfügung. Er kann damit auch Gläubiger befriedigen. Zu einem "Schaden" oder einer Erhöhung seiner Verbindlichkeiten führt die Inanspruchnahme der Dispositionsmittel nicht, da in dem Umfang, in dem nun bei dem Kreditinstitut eine Verbindlichkeit begründet wird, die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern vermindert werden. Im Hinblick auf die Schulden handelt es sich also um ein "Nullsummenspiel". Der Gläubigerwechsel ist auch nicht zu beanstanden. Der pfändende Gläubiger ist tituliert, während sich der Anspruch des Kreditinstitutes noch im Stadium der einfachen Forderung befindet. Letztlich hat das Kreditinstitut die Möglichkeit den Dispositionskredit rechtzeitig zu kündigen. Gerade der Kreditwirtschaft stehen auch hinreichende Informationsmöglichkeiten dazu zur Verfügung. Über Auskunfteien wird ihm bereits die Titulierung bekannt, wenn es nicht sogar schon früher zu einer SCHUFA-Eintragung gekommen ist.
Rz. 303
Tipp
Die Pfändung des Dispositionskredites ist gleichwohl nicht ohne Sinn. Sie blockiert den Abruf der Mittel durch den Schuldner, schränkt so dessen wirtschaftliche Bewegungsfreiheit ein und unterstützt damit das Bestreben nach einer Teil- oder Ratenzahlungsvereinbarung bzw. einem Abfindungsvergleich. Zum anderen kommt es immer wieder zu Abrufen, etwa durch Daueraufträge oder weil der Schuldner die Pfändung noch nicht zur Kenntnis genommen hat und die Bank die – empfangsbedürftige – Kündigung des Dispositionskredites noch nicht in den Machtbereich des Schuldners gebracht hat.