Frank-Michael Goebel, Dr. Jochen Schatz
Rz. 146
Es können nur Umstände berücksichtigt werden, denen nicht schon bei der Bemessung der Freibeträge nach § 850c ZPO Rechnung getragen ist. Erhöhte Bedürfnisse können etwa aus einer Erkrankung herrühren, die eine Diät oder sonstige Hilfsmittel erforderlich macht bzw. Kosten auslöst. Aber: Kosten für medizinische Behandlungsmethoden, die von der gesetzlichen Krankenkasse nicht übernommen werden, rechtfertigen in der Regel keine Erhöhung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens. Im Rahmen der Abwägung kann nämlich grundsätzlich kein Maßstab angelegt werden, der den Schuldner besserstellt als einen gesetzlich Krankenversicherten oder einen Sozialhilfeempfänger. Es wäre unbillig, den Gläubigern weitergehenden Beschränkungen zuzumuten als der Versichertengemeinschaft oder dem Träger der Sozialhilfe. Gleiches gilt im Ergebnis, wenn der Schuldner beihilfeberechtigt oder privatversichert ist. Erhöhte Bedürfnisse können beispielsweise aus der Notwendigkeit einer doppelten Haushaltsführung oder aus erhöhten Aufwendungen für Arbeitskleidung stammen. Die zum Aufbau des Deckungskapitals erforderlichen Beiträge in der privaten Altersvorsorge sind nicht nach § 850f Abs. 1b ZPO vor der Pfändung geschützt.
Rz. 147
Voraussetzung für die Annahme eines erhöhten Bedürfnisses ist immer, dass dieses konkret und aktuell vorliegt und außergewöhnlich in dem Sinne ist, dass es bei den meisten Personen in vergleichbarer Lage nicht auftritt.
Rz. 148
Auch aus überdurchschnittlich hohen Fahrtkosten zur Arbeitsstelle kann sich ein besonders Bedürfnis für die Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen ergeben. Die h.R. geht davon aus, dass angesichts der heute vorherrschenden Mobilität ein Weg zu Arbeitsstätte von bis zum 30 km für die einfache Strecke als normal angesehen werden darf und keine besondere Belastung des Schuldners i.S.d. § 850f darstellt. Allerdings können nur die Kosten berücksichtigt werden, die allein durch die berufliche Nutzung anfallen (also nicht Steuern, Versicherung pp.). Angesichts extrem gestiegener Treibstoffpreise ist hier der Betrag der gesetzlichen Pendlerpauschale von 0,38 EUR/km (Stand: Jan. 2023) ab dem 21. km (bis 20 km = 0,30 EUR) zugrunde zu legen. Zu beachten ist allerdings, dass die Kosten des Nahverkehrs als Obergrenze dienen können, jedenfalls dann, wenn eine Verweisung auf den Nahverkehr zumutbar ist. Auch dies ist dann durch den Schuldner zu widerlegen. Mit Einführung des DeutschlandTickets zum Preis von 49 EUR/Monat ab Mai 2023 wird für Schuldner, die auf die Nutzung des ÖPNV verwiesen werden können, die Regelungen des § 850f Abs. 1 ZPO nicht mehr relevant sein.