Rz. 29
Eine weitere wesentliche Regelung des privaten Nachbarrechts stellt § 909 BGB dar. Der Text der Norm lautet:
§ 909 BGB Vertiefung
Ein Grundstück darf nicht in der Weise vertieft werden, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, dass für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist.
Rz. 30
Nachdem sich aus § 905 BGB ein Herrschaftsrecht zur Nutzung auch des Erdkörpers ergibt, muss § 909 BGB hier regulativ hinzutreten, um eine Einwirkung auf benachbarte Grundstücke zu verhindern. § 909 BGB sichert die bodenphysikalische Stütze, die sich benachbarte Grundstücke gegenseitig gewähren und schränkt dementsprechend die Befugnisse des Eigentümers ein.
aa) Voraussetzungen des Tatbestands
(1) Unzulässige Vertiefung
Rz. 31
Unter einer Vertiefung wird ganz allgemein jede Maßnahme verstanden, welche dem Boden des benachbarten Grundstücks die erforderliche Stütze entzieht. Es darf also nicht so auf das Nachbargrundstück eingewirkt werden, dass dessen Erdreich in der Senkrechten den Halt verliert oder untere Bodenschichten in ihrem waagrechten Verlauf beeinträchtigt werden (z.B. Beseitigung von Bodenbestandteilen, Gebäudeteilen und Baumaterialien, das Zusammenpressen durch Auflast des Neubaus und Aufschüttungen oder Auffüllungen, oder Einwirkungen auf das Grundwasser).
(2) Stützverlust beim Nachbargrundstück
Rz. 32
Der "Nachbar" wird im Anwendungsbereich des § 909 BGB so interpretiert, dass auch weitere, nicht unmittelbar angrenzende Grundstücke in den Schutzbereich des § 909 BGB fallen. Hinsichtlich der "erforderlichen Stütze" gilt: die Vertiefungshandlung muss so auf das Nachbargrundstück einwirken, dass dort der Boden in der Senkrechten den Halt verliert, oder dass die unteren Bodenschichten in ihrem waagerechten Verlauf beeinträchtigt werden. Die Erforderlichkeit der Stütze richtet sich nach den örtlichen Verhältnissen im jeweiligen Einzelfall.
(3) Genügende anderweitige Befestigung
Rz. 33
Die Unzulässigkeit einer Vertiefung entfällt allerdings, wenn für eine anderweitige, genügende Befestigung Sorge getragen wird. Solche Befestigungen können etwa sein: eine rückverankerte Bohrpfahlwand, Spundwand, Baugrubenaussteifung oder auch eine eingestellte Schmalwand. Hieraus ergibt sich aber keine Verpflichtung des vertiefenden Grundstückseigentümers, für eine derartige Befestigung zu sorgen.
Rz. 34
Dem Vertiefenden bleibt nach ganz herrschender Meinung die Auswahl des Verfahrens zur ausreichenden anderweitigen Befestigung des Nachbargrundstücks selbst überlassen, er muss hierbei besonderen Wünschen des Nachbarn (z.B. ästhetische Ansprüche) nicht gesondert Rechnung tragen.
bb) Rechtsfolgen
Rz. 35
§ 909 BGB stellt ein Verbot dar, welches dem Bauherrn die Vertiefung seines Grundstücks untersagt, sofern dadurch ein anderes benachbartes Grundstück in seiner erforderlichen Stütze gefährdet wird, wenn nicht eine anderweitige Befestigung zur Verfügung steht. Es ergeben sich daraus drei wesentliche Konsequenzen: solange eine solche Vertiefung noch nicht vorgenommen worden ist, kann der Nachbar von dem Vertiefenden Unterlassung dieser Vertiefungshandlungen gem. §§ 909, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB begehren. Ist bereits eine solche Handlung vorgenommen worden, so kann der gestörte Eigentümer nach h.M. aus § 909 BGB direkt (ohne § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB) Beseitigung verlangen. Schließlich kommt auch, wenn § 909 BGB verletzt wurde, ein Schadensersatzanspruch zugunsten des benachbarten und gestörten Eigentümers in Betracht, §§ 823 Abs. 2, 909 BGB. Nach ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur stellt § 909 BGB ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB dar, sodass eine schuldhafte Verletzung der Norm einen entsprechenden Schadensersatzanspruch nach sich zieht. Ein Anspruch aus 823 Abs. 1 BGB wegen Eigentumsverletzung kann danebenstehen.
Zur Abwehr eines unzulässigen Eingriffs ist auch hier, wie in den anderen Eingriffs- und Abwehrregelungen, eine einstweilige Verfügung denkbar. Ein Muster eines solchen Antrags findet sich unter Rdn 81.