aa) Allgemeines
Rz. 53
Im Baubereich handelt es sich bei dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis um ein bedeutsames Thema, denn den Interessen des Nachbarn stehen ebenfalls beachtenswerte Motive des bauwilligen Grundstückseigentümers gegenüber.
bb) Voraussetzungen und systematische Betrachtungen
Rz. 54
Bei dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis handelt es sich nicht um ein Schuldverhältnis (i.S.d. § 241 BGB) zwischen den betroffenen Grundstücksnachbarn. Maßgeblich erscheint die Einstufung des Gemeinschaftsverhältnisses als Ausprägung des § 242 BGB. Insbesondere die Rechtsprechung geht seit langem von dieser Einordnung des Gemeinschaftsverhältnisses unter die "Generalklausel" des Zivilrechts aus. Dabei sollen von dem Verhältnis keine selbstständigen Ansprüche des Nachbarn unmittelbar ausgehen. Vielmehr dient der Gedanke von Treu und Glauben (§ 242 BGB) lediglich als Schranke der Rechtsausübung. Man kommt zu dem Ergebnis, dass § 242 BGB – der auch im Bereich des Sachenrechts anwendbar ist – zur Konstituierung des Rechtsinstituts des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses tauglich erscheint.
cc) Wichtigste Fallgruppen
(1) Hinnahmeverpflichtungen
Rz. 55
An dieser Stelle soll ein kurzer Überblick über die möglichen Verpflichtungen gegeben werden. Wenn man von einem weiteren Begriff der Eigentumsbeeinträchtigung ausgeht, so kommt man in der Praxis relativ häufig zu einer Beeinträchtigung dieses Rechtsguts und damit – gerade in Baustreitigkeiten – zu der Frage, inwieweit eine Einschränkung der Abwehrrechte eines Nachbarn durch das Institut des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses vorgenommen werden muss. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass eine sinnvolle Nutzung des Grundstücks dem Eigentümer nicht mehr möglich ist, da im Prinzip jegliche Nutzung eines Grundstücks zu irgendeiner theoretischen Interaktion mit dem Grund und Boden des Nachbarn führt. Für den Bereich der Imponderabilien ist durch den unter Rdn 18 ff. bereits beschriebenen § 906 BGB eine weitestgehend hinreichende Regelung getroffen worden. Eine Ausnahme gilt hier regelmäßig nur für die im Folgenden noch näher ausgeführten besonders kurzfristigen und damit zeitlich ohne Weiteres überschaubaren Beeinträchtigungen. Grobkörperliche Immissionen lassen sich im Regelfall mit den Vorschriften der §§ 1004, 862 BGB abwehren. Auch hier sind regelmäßig nur Ausnahmen bei besonders kurzen Einwirkungen und beim sogenannten "sozialüblichen Verhalten" einschlägig. Eine besondere Abweichung von dem vorstehenden Grundsatz stellen daneben die leges speciales der §§ 912, 917 BGB dar, welche den sogenannten "Überbau" bzw. den "Notweg" regeln. Dort ist unter spezifischen Voraussetzungen die Duldungspflicht des berührten Nachbarn ausgestaltet.
(2) Pflichten zur Unterlassung der Ausübung der nachbarlichen Rechte
Rz. 56
Die vorstehend skizzierten Ansprüche auf Duldung können spiegelbildlich als Unterlassungsverpflichtungen formuliert werden. Dabei ist stets der Ausgangspunkt jeder Betrachtung der Gedanke, dass die Eigentumsverhältnisse an einem Grundstück letztlich definiert und gleichsam wirksam begrenzt werden müssen. Im Übrigen werden die bereits angesprochenen Verpflichtungen lediglich nach der jeweiligen Perspektive ausgestaltet. Dies bedeutet, dass auch ein Nachbar gehalten sein kann, seine "ihm zustehenden Rechte" nur in einem bestimmten, angemessenen Rahmen auch tatsächlich auszuüben und darüber hinausgehende Handlungen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu unterlassen.
(3) Sonderfälle: Zusammenwirken von § 905 S. 2 und § 242 BGB
Rz. 57
Die Sonderfälle des Zusammenwirkens von § 905 S. 2 und § 242 BGB sowie die – notwendige – Differenzierung zwischen permanenten und temporären Einwirkungen können hier nicht im Detail ausgeführt werden. Dies ist aber im Einzelfall gesondert zu betrachten.
dd) Mitwirkungspflichten des Eigentum haltenden Nachbarn
Rz. 58
Weiter sind hier neben den vorgenannten Hinweis- und Fürsorgepflichten stehende Verpflichtungen zu formulieren. Danach kann ein Eigentümer gehalten sein, den Bauherrn rechtzeitig über eine etwaige schlechte Substanz des auf dem Grundstück des Eigentümers stehenden Gebäudes (z.B. wegen Alters, Bauweise, mangelnder Gründung, Kriegsschäden etc.) zu informieren. Eine in diesem Zusammenhang stehende Frage ist, ob sich der Eigentümer in einem Schadensfall die schlechte Bausubstanz (z.B. infolge von Kriegsschäden oder Alters des Gebäudes) anspruchsmindernd zurechnen lassen muss. Nach einer Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1982 richtet sich die Beurteilung der Frage, ob eine rechtswidrige Vertiefung i.S.d. § 909 BGB vorliegt, danach, welche Befestigung das Nachbargrundstück tatsächlich nach seiner konkreten Beschaffenheit benötigt. Demnach kommt es gerade nicht nur auf eine vorprägende Schadensanfälligkeit an, sondern es kann allenfalls die bauliche Substanz anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend wirken, wenn sich d...