A. Einleitung
Rz. 1
Das private Baunachbarrecht zählt zu den Rechtsgebieten, die im Baualltag ebenso wie in gerichtlichen und außergerichtlichen Baustreitigkeiten nicht nur besonders häufig aktuell, sondern auch hinsichtlich ihrer finanziellen Auswirkungen von größter Bedeutung sind. In diesem Kap. soll in gebotener Kürze das wichtigste Handwerkszeug bereitgestellt werden, um dem fachkundigen Bauanwalt die erforderlichen prozessualen und vertraglichen Schritte zu erleichtern.
B. Das Nachbargrundstück als Fokus der rechtlichen Betrachtung
Rz. 2
Für eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Grundstücksbegriff ist hier kein Raum. Es wird – mit dem BGH – nachfolgend der sogenannte "grundbuchrechtliche Grundstücksbegriff" als Basis weiterer Betrachtungen verwendet. Zu einem Grundstück gehören des Weiteren noch Bestandteile (§§ 93 ff. BGB) sowie sogenannte "grundstücksgleiche Rechte".
C. Rechte und Schranken des Eigentumsrechts – Anspruch des Eigentümers auf Duldung einer Baumaßnahme
Rz. 3
Sofern der Bauherr und die Nachbarn keine Vereinbarung darüber getroffen haben, ob der Bauherr oder einer der sonstigen Baubeteiligten das Nachbargrundstück zur Ausführung der Bauarbeiten benutzen darf, kommt es auf Ansprüche aus der Eigentümer- oder Besitzerstellung an.
I. Der Nachbar als Eigentümer des berührten Grundstücks
Rz. 4
Das Eigentum nach § 903 S. 1 BGB ist als das umfassendste Herrschaftsrecht, das die Rechtsordnung zulässt, an einer Sache zu verstehen; es vereinigt also alle Befugnisse in sich. Aus der vorstehenden Beschreibung des Eigentums als "Vollrecht" an einer Sache ist nicht zu schließen, dass dieses Recht grenzenlos ist. Insbesondere bei Grundstücken gibt es mannigfaltige Einschränkungen, die nachstehend im Hinblick auf baurechtliche Zusammenhänge näher erläutert werden. Die umfassende Rechtsstellung des Eigentümers ergibt sich aus dem Gesetzestext des § 903 S. 1 BGB:
Der Eigentümer einer Sache kann, (…) mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.
1. Inhalt des Eigentums
Rz. 5
§ 903 S. 1 BGB definiert den Begriff des Eigentums nicht, sondern beschreibt im ersten Halbsatz vielmehr in rechtstechnisch einfacher Form die Befugnisse und im zweiten Halbsatz die Schranken des Eigentumsrechts. Das Herausragende am Eigentumsrecht ist, dass es dem Rechtsinhaber eine umfassende Rechtsmacht über das Objekt des Eigentums verleiht.
2. Befugnisse des Eigentümers
Rz. 6
Nach dem Gesetzestext kann der Rechtsinhaber mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren, also auf seine Sache in beliebiger Weise einwirken (sowohl tatsächlich wie auch rechtlich). Die Reichweite dieser Freiheit unterliegt der Disposition des Gesetzgebers, der sie im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG definieren kann. Weiter kann der Eigentümer über die positive Befugnis hinaus auch "andere von jeder Einwirkung ausschließen" (z.B. Kranüberschwenken, Materiallagerung, Notwegsbenutzung, Untergrabungen, Vertiefungen, Überbau). Danach ist er gegen jegliche Beeinträchtigung, die nicht seinem Willen entspricht, grundsätzlich umfassend geschützt. Eine Beschränkung dieser Kompetenz kommt aber, wie der Gesetzestext vorgibt, aus dem Gesetz oder Rechten Dritter in Betracht.
Rz. 7
Es ist gut nachvollziehbar, dass sich der Eigentümer eines Grundstücks regelmäßig um eine möglichst optimale Ausnutzung seiner Fläche bemühen wird. Dies wird meist durch eine intensive Bebauung des Grundstücks erreicht. Dass sich dabei einhergehende Einflüsse auf die benachbarten Grundstücke temporär oder auch permanent auswirken und damit das ebenfalls berechtigte Ausschließungsrecht des Nachbarn tangieren können, ist die logische Konsequenz dieser wirtschaftlich orientierten Nutzung. Bei den vorbeschriebenen Interessenskonflikten sind neben den nachbarrechtlichen Landesvorschriften vor allem die §§ 905 ff. BGB (so z.B. bei Immissionen und Vertiefungen) einschlägig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jedes dieser Rechte des Nachbarn infolge des räumlichen Zusammenhangs im Nachbarraum durch ein entsprechendes Rücksichtnahmegebot begrenzt wird. Dabei wird allerdings im Zweifel das Benutzungs- gegenüber dem Ausschließungsrecht zurücktreten müssen. Der BGH geht davon aus, dass ein Grundstückseigentümer unter Beachtung dieser Normen des Nachbarrechts sein Grundstück ohne jegliche Rechtfertigung benutzen darf, sofern sich die Nutzung innerhalb der Grenzen des Grundstücks hält. Der insoweit notwendige Ausgleich der widerstreitenden Interessen der Nachbarn könne vielmehr erst durch Heranziehen der entsprechenden nachbarrechtlichen Vorschriften (in diesem Falle des § 906 BGB) erreicht werden.
Rz. 8
Der zu umfassendem Ausschluss Dritter berechtigte Eigentümer ist zu zumutbarer Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen anderer verpflichtet. Es fließt damit bereits der Aspekt der gegenseitigen Rücksichtnahme, also letztlich eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben, § 242 BGB, in die Wertung mit ein. In der nachbarlichen Beziehung ist bei Berührungen, die unvermeidlich sind, eine wechselseitige In...