Sebastian Kubik, Dr. iur. Franz-Thomas Roßmann
Rz. 321
Nach § 238 Abs. 4 FamFG ist die vorausgegangene Entscheidung bei Vorliegen einer wesentlichen Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse unter Wahrung ihrer Grundlagen anzupassen. Durch diese Formulierung soll der Gesichtspunkt der Bindungswirkung deutlich zum Ausdruck gebracht werden.
Die in § 238 FamFG geschaffene Möglichkeit, bei einer Verpflichtung zukünftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen wegen einer nachträglich eingetretenen Veränderung der Verhältnisse einen Abänderungsantrag zu erheben, ist ein verfahrensrechtlicher Anwendungsfall der clausula rebus sic stantibus. Daraus ergibt sich, dass die Abänderung des Beschlusses nicht weiter gehen darf, als es aus Gründen der veränderten Verhältnisse notwendig erscheint. Die Vorschrift soll weder eine Möglichkeit zur neuerlichen Wertung des alten Sachverhalts noch einen Weg eröffnen, diesen bei Gelegenheit einer – gerechtfertigterweise erfolgenden – Abänderung abweichend zu beurteilen. Erst recht kann sie nicht die Gelegenheit bieten, gegen den Grund des Anspruchs Einwendungen zu erheben oder diesen neu zur Nachprüfung zu stellen.
Rz. 322
§ 238 FamFG enthält eine Ausnahme von den allgemeinen Regeln über die Rechtskraft. Aus der Zielsetzung der Vorschrift, unvorhersehbare Veränderungen der maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse nachträglich berücksichtigen zu können, ergeben sich die Grenzen für den Einbruch in die Rechtskraft, den der Abänderungsantrag zu bewirken vermag. Die sich aus der Rechtskraft ergebende Bindungswirkung des Erstbeschlusses darf auf den Abänderungsantrag hin nur insoweit beseitigt werden, als das Ersturteil auf Verhältnissen beruht, die sich nachträglich geändert haben.
Rz. 323
Soweit die tatsächlichen Grundlagen des Erstbeschlusses unverändert geblieben sind, bleibt die Bindung bestehen und hindert den Abänderungsrichter daran, die diesbezüglichen Tat- und Rechtsfragen erneut zu prüfen. Dass diese Fragen möglicherweise unrichtig beurteilt worden sind, kann den Umfang der rechtlichen Bindung nicht beeinflussen, auch nicht aus Gründen der Billigkeit.
Rz. 324
Der BGH fasst die Grundprinzipien der Abänderungsentscheidung zusammen wie folgt:
Zitat
Ist das Abänderungsverfahren eröffnet, so ermöglicht es weder eine freie, von der bisherigen Höhe unabhängige Neufestsetzung des Unterhalts noch eine abweichende Beurteilung derjenigen Verhältnisse, die bereits in der Erstentscheidung eine Bewertung erfahren haben. Darüber hinaus bleiben im Abänderungsverfahren auch solche im Ausgangsverfahren schon entscheidungserheblichen Umstände unberücksichtigt, die seinerzeit von den Beteiligten nicht vorgetragen oder vom Gericht übersehen wurden. Denn auch eine Korrektur von Fehlern der rechtskräftigen Entscheidung ist im Abänderungsverfahren nicht zulässig. Einer Fehlerkorrektur steht vielmehr die Rechtskraft der Vorentscheidung entgegen, deren Durchbrechung nur insoweit gerechtfertigt ist, als sich die maßgeblichen Verhältnisse nachträglich verändert haben. […]
Die Abänderungsentscheidung besteht dementsprechend in einer unter Wahrung der Grundlagen des Unterhaltstitels vorzunehmenden Anpassung des Unterhalts an veränderte Verhältnisse (§ 238 Abs. 4 FamFG). […] Die Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung darf nicht weitergehen, als es aus Gründen der Anpassung an die veränderten Verhältnisse notwendig ist. Damit unterliegt die Abänderung einer Begrenzung, die sich durch das Merkmal der "Anpassung" an die veränderten Umstände treffend ausdrücken lässt.“
Rz. 325
Die Möglichkeit einer Fehlerkorrektur besteht lediglich im Rahmen einer Beschwerde. Das hat zur Folge, dass z.B. ein Abänderungsantrag, welcher im vorausgegangenen Verfahren mangels schlüssiger Begründung, insbesondere wegen unzulänglicher Darlegung der Vermögensverhältnisse rechtskräftig abgewiesen worden ist, ohne Behauptung einer zwischenzeitlichen Veränderung dieser Vermögensverhältnisse nicht wiederholt werden kann.
Hat der Abänderungsbegehrende in dem, dem abzuändernden Unterhaltstitel zugrundeliegenden Verfahren versäumt, die dort angenommenen Einkommensverhältnisse richtigzustellen, so kann er sich auf eine wesentliche Veränderung seiner Einkommensverhältnisse nur insoweit berufen, als sich sein maßgebliches Einkommen nach Abschluss des Erstverfahrens nachhaltig gesunken ist.
Rz. 326
Allerdings gibt es auch Ausnahmen von dieser Bindungswirkung. So kann ein Abänderungsantrag auch dann darauf gestützt werden, dass der Regelbetrag erhöht wurde und das Kind eine weitere Altersstufe erreicht hat, wenn beide Veränderungen bei der Festsetzung unmittelbar bevorstanden.
Auch kann den Unterhaltsrichtlinien, Tabellen oder Verteilungsschlüsseln, die in der unterhaltsrechtlichen Praxis entwickelt worden sind, eine entsprechende Bindungswirkung nicht beigemessen werden. Bei ihnen handelt es sich um Hilfsmittel, die der Richter zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffes "angemessener Unterhalt" verwendet, um eine möglichst gleichm...