Sebastian Kubik, Dr. iur. Franz-Thomas Roßmann
Rz. 165
Nicht jedes familienrechtliche Mandat darf anwaltlich übernommen werden. Zentrale Vorschrift der Grundpflichten des Rechtsanwalts ist § 43a BRAO.
Einer der Verbotstatbestände ist in § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 Berufsordnung (BORA) normiert, wonach der RA keine widerstreitenden Interessen vertreten darf.
Diese gesetzliche Regelung korrespondiert weitestgehend mit der Vorschrift des § 356 StGB (Parteiverrat). Beide gesetzlichen Anordnungen dienen der Wahrung der Interessen und damit dem Schutz des Mandanten wie auch der Unabhängigkeit des RA. Ein Interessenwiderstreit im vorgenannten Sinne liegt vor, wenn der RA in derselben Rechtssache bei bestehendem Interessengegensatz tätig geworden ist.
Rz. 166
Sollen gleichzeitig ein Ehegatte und ein volljähriges Kind vertreten werden, ist auf Interessenkonflikte zu achten:
Der Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes richtet sich – ab Volljährigkeit – gegen beide Eltern. Auch wenn das berechtigte Kind bisher harmonisch mit einem Elternteil unter einem Dach gelebt hat, kann es leicht zu Querelen kommen. Dies kann sich schon beim Auskunftsverlangen zeigen. Denn der Elternteil, bei dem das Kind lebt, will nicht immer seine Einkommensverhältnisse offenbaren, weil er aus seiner Sicht durch die tatsächliche Hilfestellung für das Kind ohnehin die größte Last trägt. Möglicherweise sieht er sich dadurch unnötig belastet, dass er seine bescheidenen Einkommensverhältnisse (z.B. unerheblicher Teilzeitlohn) gegenüber dem Kind oder dem geschiedenen Ehegatten darlegen soll. Das Kind benötigt aber diese Informationen, um seinen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil überhaupt schlüssig begründen zu können. Auch der Umfang der geschuldeten Erwerbstätigkeit des Elternteils, bei dem das Kind wohnt, kann streitig werden. Dann existiert trotz räumlicher Nähe eine gravierende Interessenkollision oder es offenbaren sich gefährliche gegenläufige Interessen.
Rz. 167
Allerdings muss ein solches Mandat nicht mehr zwingend aufgegeben werden. Der BGH hat nunmehr deutlich gemacht, dass die Umstände des Einzelfalles ausschlaggebend sind. Grundlage war eine Konstellation, bei welchem die anwaltliche Vertretung zunächst das Scheidungsverfahren und den Zugewinnausgleich des Vaters betraf. Zeitgleich wurde auch die Vertretung des volljährigen Kindes im Unterhaltsverfahren gegen die Mutter übernommen.
Rz. 168
Der BGH argumentiert wie folgt:
Zitat
Ein Anwalt, der ein volljähriges Kind bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen berät, muss darauf hinweisen, dass sich der Anspruch gegen beide Elternteile richtet. Vertritt der Anwalt bereits einen Elternteil im Rahmen einer unterhalts- oder ehegüterrechtlichen Auseinandersetzung, ist schon dieser Hinweis geeignet, dessen Interessen zu beeinträchtigen. Wenn und soweit sich die Höhe des Unterhaltsanspruchs des volljährigen Kindes nach den zusammengerechneten Einkommen beider Eltern richtet, kann das Interesse des Kindes überdies darauf gerichtet sein, ein möglichst hohes Einkommen auch desjenigen Elternteils nachzuweisen, dessen Vertretung der Anwalt bereits übernommen hatte und dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse dieser daher kennt. Auch dies schließt eine gemeinsame Vertretung eines Elternteils und des volljährigen Kindes im Rahmen des Kindesunterhalts grundsätzlich aus.
Ob widerstreitende Interessen bestehen und vertreten werden, kann indessen nicht ohne Blick auf die konkreten Umstände des Falles beurteilt werden. Maßgeblich ist, ob der in den anzuwendenden Rechtsvorschriften typisierte Interessenkonflikt im konkreten Fall tatsächlich auftritt (…). Was den Interessen des Mandanten und damit zugleich der Rechtspflege dient, kann nicht ohne Rücksicht auf die konkrete Einschätzung der hiervon betroffenen Mandanten abstrakt und verbindlich von Rechtsanwaltskammern oder Gerichten festgelegt werden (…). Die Vorschrift des § 43a Abs. 4 BRAO schränkt (ebenso wie diejenige des § 356 StGB) das Grundrecht der freien Berufsausübung der Rechtsanwälte nach Art. 12 Abs. 1 GG ein. Ihre Auslegung hat sich daran zu orientieren, dass jeder Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein muss und nicht weiter gehen darf, als die rechtfertigenden Gemeinwohlbelange es erfordern. Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen zudem in einem angemessenen Verhältnis stehen; denn die Gerichte sind, wenn sie Einschränkungen der grundsätzlich freien Berufsausübung für geboten erachten, an dieselben Maßstäbe gebunden, die nach Art. 12 Abs. 1 GG den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken (…). Im Interesse der Rechtspflege sowie eindeutiger und gradliniger Rechtsbesorgung verlangt § 43a Abs. 4 BRAO lediglich, dass im konkreten Fall die Vertretung widerstreitender Interessen vermieden wird (…). Das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt verstößt gegen das Übermaßverbot und ist verfassungsrechtlich unzulässig (…).
Danach hat die Klä...