Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 28
Die mündliche Verhandlung beginnt – nach dem Aufruf nach § 220 ZPO und der Feststellung der Präsenz – gemäß § 137 Abs. 1 ZPO mit dem Stellen der – bislang schriftsätzlich nur angekündigten – (Sach-)Anträge: Der Kläger stellt seinen Zahlungs- oder sonstigen Antrag, der Beklagte gewöhnlich seinen Antrag auf Klageabweisung.
Rz. 29
Das Gericht hat, wie dargestellt, bereits in der Güteverhandlung auf die Erfolgsaussichten der Klage und der Verteidigung einzugehen. Befürchtet man Schlüssigkeitsdefizite oder Defizite im Vortrag oder bei erforderlichen Beweisantritten (z.B. aufgrund prozessleitend bereits erteilter Hinweise oder aufgrund der Erörterung im Rahmen der vorausgegangenen Güteverhandlung), sollte das Gericht (ausnahmsweise) um eine vorherige Erörterung der Sach- und Rechtslage gebeten werden, damit noch ggf. die Option der Flucht in die Säumnis erhalten bleibt.
Rz. 30
Das Gericht wird die Sach- und Rechtslage erörtern und ggf. auf sachdienliche Anträge hinwirken, § 139 Abs. 1 ZPO. Die Parteien nehmen normalerweise auf ihren bisherigen schriftsätzlichen Sachvortrag Bezug. Mündlich werden die wesentlichen, entscheidungserheblichen, streitentscheidenden Aspekte des Rechtsstreits besprochen, speziell dürfen sich die Parteien auch in einem Anwaltsprozess – auf Antrag gemäß § 137 Abs. 4 ZPO – persönlich äußern. Dem Richter obliegt stets die Prozessleitung, also führt er sachdienlich das Verfahren, indem er auf die Erörterung der entscheidungserheblichen rechtlichen und/oder tatsächlichen Gesichtspunkte hinwirkt und dazu ggf. auch die Parteien persönlich anhört, Hinweise und/oder Auflagen erteilt.
Rz. 31
Problematisch ist die Antragstellung für den beklagten Mandanten, wenn der Termin zur mündlichen Verhandlung bereits anberaumt ist, über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe aber noch nicht entschieden worden ist. Der Rechtsanwalt befindet sich dann in dem Dilemma, zum einen für den Mandanten die Erfolgschancen einer Verteidigung und die staatliche Unterstützung bei der Prozessführung nicht geklärt zu haben, zum anderen Gefahr zu laufen, für seinen Mandanten ein Versäumnisurteil zu kassieren. Der Prozessbevollmächtigte muss in dieser prozessualen Situation entscheiden, ob er erörtern, verhandeln oder gar nicht auftreten soll.
Rz. 32
Der Beklagtenvertreter muss auch hier den sichersten Weg wählen. Dieser dürfte in einem die Säumnis vermeidenden Verhandeln liegen, um anschließend mittels eines beantragten Schriftsatznachlasses die Rechtsposition des Beklagten nochmals vorzutragen und darüber hinaus ggf. auf eine Vertagung der Verhandlung nach § 227 ZPO hinwirken. Die Konstellation, dass über ein Prozesskostenhilfegesuch noch nicht entschieden worden ist oder dieses erst unmittelbar vor dem Termin zurückgewiesen worden ist, ist ein erheblicher Verhinderungsgrund i.S.d. § 337 ZPO, so dass zu vertagen wäre.
Rz. 33
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann eine prozesskostenbedürftige Partei bei einem schwebenden Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren nur dann eine vorrangige Entscheidung hierüber beanspruchen, wenn sie gerade wegen ihrer Mittellosigkeit den erforderlichen Klageabweisungsantrag nicht stellen kann. Das ist nicht der Fall, wenn der Prozessbevollmächtigte ungeachtet der (noch) ausstehenden Prozesskostenhilfebewilligung zum Termin erschienen ist.
Zitat
Eine bedürftige Partei kann [...] ein Zuwarten mit dem Fortgang des Hauptsacheverfahrens nur dann beanspruchen, wenn gerade die Mittellosigkeit ihr die Vornahme der zur Wahrung ihrer Rechtsposition erforderlichen Prozesshandlungen, wie sie einer bemittelten Partei in der jeweiligen Prozesssituation zu Gebote stünden, verwehren oder unverhältnismäßig erschweren würde, im Streitfall also das Unterbleiben des zur Rechtsverteidigung notwendigen Verhandelns des Prozessbevollmächtigten zur Sache gerade auf die Bedürftigkeit des Beklagten zurückzuführen wäre. (...)
Die dafür vom Gesetzgeber mit dem Institut der Prozesskostenhilfe gemäß §§ 114 ff. ZPO getroffenen Vorkehrungen begründen jedoch zum einen keinen generellen Ablaufvorrang des Prozesskostenhilfeprüfungsverfahrens vor dem Hauptsacheverfahren. [...] Denn das Prozesskostenhilfeverfahren ist ein selbstständiges Verfahren, welches das bereits rechtshängige Verfahren in der Hauptsache nicht unterbricht und dessen Erledigung daher grundsätzlich auch nicht zu einer Verzögerung des Hauptsacheprozesses führen darf.
Rz. 34
Ein Gericht, welches spät die fehlende Erfolgsaussicht verneint, wird versuchen, die Sache zumindest erörtern zu lassen, um ggf. auf einen Vergleich hinzuwirken. Für den Abschluss des Vergleichs wird eventuell eine Prozesskostenhilfegewährung in Aussicht gestellt.