Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 36
Nach dem Gesetz ist das Gericht verpflichtet, zu bewirken, dass die Parteien alle erheblichen Tatsachen vortragen, insbesondere lückenhaften Vortrag ergänzen und Beweismittel nennen. Übersieht eine Partei erkennbar einen Gesichtspunkt oder hält ihn für unerheblich, muss das Gericht so früh wie möglich darauf hinweisen und Gelegenheit zur Äußerung geben, § 139 Abs. 2 ZPO. Dasselbe gilt für einen Aspekt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien. Erteilte Hinweise müssen aktenkundig gemacht werden, § 139 Abs. 4 S. 2 ZPO, ansonsten gelten sie als nicht erteilt. Ist die Dokumentation eines entscheidungserheblichen, aber nicht befolgten Hinweises unterblieben, kann sie im Urteil nachgeholt werden. Die Hinweispflicht gilt auch bei anwaltlicher Vertretung. Die anwaltliche Vertretung einer Partei enthebt das Gericht nicht seiner Prozessleitungspflicht, kann aber die Intensität seine Hinweise beeinflussen. Regelmäßig genügt in einem Anwaltsprozess ein knapper Hinweis. Weiter gehende Anordnungen durch das Gericht würden der Arbeitsteilung zwischen den Rechtsanwälten als Rechtspflegeorgane und der richterlichen Neutralität zuwiderlaufen. Sie können auch nicht durch die in Anwaltsschriftsätzen häufig anzutreffende Floskel erwirkt werden, dass um richterlichen Hinweis gebeten wird, falls weiterer Sachvortrag erforderlich sein sollte. Erforderliche Hinweise muss das Gericht ohnehin erteilen, weitergehende müssen unterbleiben.
Rz. 37
Besteht die Befürchtung, dass Sachvortrag zu einem bestimmten Punkt noch ergänzt werden muss oder vielleicht ein – weiterer – Beweisantritt erforderlich sein könnte, kann das Gericht zu dem konkreten Punkt ausdrücklich gebeten werden, einen richterlichen Hinweis zu erteilen.
Rz. 38
Indes besteht kein Anspruch auf eine Erörterung oder Beurteilung der Sach- und Rechtslage außerhalb der mündlichen Verhandlung oder auf Mitteilung, ob das Gericht die Klage für begründet/unbegründet oder Einwendungen für erheblich/unerheblich hält. Das vielfach geforderte Rechtsgespräch wird jedoch derjenige Richter als Risiko bewerten, der sich angesichts offener Worte anschließend einem Befangenheitstrag wegen Voreingenommenheit gegenübersieht.
Rz. 39
Kann eine Partei nicht sofort zu einem gerichtlichen Hinweis Stellung nehmen, soll das Gericht der Partei auf deren Antrag eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachholen kann. Die gesetzte Frist ist unbedingt einzuhalten, damit das Vorbringen noch berücksichtigt werden kann und nicht wegen Verspätung ausgeschlossen wird.
Rz. 40
Wichtiger Hinweis
Schriftsatznachlass wäre jedoch nur zu gewähren, wenn es sich auch wirklich um einen erstmaligen Hinweis handelt. Dazu zählt nicht, wenn bereits die Gegenseite darauf hingewiesen hatte und auch nicht die allgemeine Erörterung der Sach- und Rechtslage. Indem das Gericht seine vorläufige Beurteilung preisgibt, ob die Klage begründet oder unbegründet ist, eröffnet dies keinen allgemeinen Anspruch, weiter vortragen oder "dazu" Stellung nehmen zu dürfen. Rechtsausführungen für eine Partei bleiben ohnehin auch ohne Schriftsatznachlass (bis zum Verkündungstermin) unbenommen. So kann im Rahmen des Nachgangs einer Erörterung die rechtliche Position – ggf. unter Beifügung entsprechender Rechtsprechungsnachweise – dargelegt werden, um das Gericht zu veranlassen, von seiner vorläufig geäußerten rechtlichen Einschätzung noch abzurücken.