Dr. iur. Nikolas Hölscher
a) Maßgeblicher Zeitpunkt
Rz. 68
Der Pflichtteilsentziehungsgrund (§ 2333 BGB) muss zur Zeit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen bestanden haben (§ 2336 Abs. 2 S. 1 BGB). Eine spätere Besserung des Verhaltens des Pflichtteilsberechtigten war nur bei dem früheren § 2333 Nr. 5 BGB a.F. (Entziehung wegen ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels) beachtlich, wie § 2336 Abs. 4 BGB a.F. hierfür ausdrücklich bestimmte. Eine Entziehung für künftige Fälle ist nicht möglich, wohl aber eine "Verdachtsentziehung", wenn der Erblasser vermutet, dass ein Entziehungstatbestand bereits verwirklicht wurde; entscheidend ist dann, ob sich der Verdacht bestätigt. Auch kann die an sich gerechtfertigte Entziehung befristet oder von einer Bedingung abhängig gemacht werden, etwa der Besserung, wie sich auch aus dem früheren § 2336 Abs. 4 BGB a.F. ergab. Bei einer Pflichtteilsentziehung gegenüber einem Abkömmling wegen einer gegenüber dem Ehegatten des Erblassers begangenen Verfehlung (§ 2333 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB) muss die Ehe nicht bis zur Errichtung der Entziehungsverfügung bestanden haben.
b) Angabe des Entziehungsgrundes
Rz. 69
Der Entziehungsgrund muss in der Verfügung von Todes wegen angegeben sein (§ 2336 Abs. 2 S. 1 BGB), also formgerecht. Dabei bestimmt das Gesetz nicht näher, in welcher Art und Weise dies erfolgen soll. Näheres ergibt sich jedoch aus dem Zweck der Bestimmung. Nach Ansicht des BGH besteht dieser darin, die spätere Beweisbarkeit der tatsächlichen Motivation des Erblassers für die Entziehungsentscheidung zu sichern, aber auch, den Erblasser wegen der weit reichenden Folgen der Entziehung zu einem "verantwortlichen Testieren" anzuhalten. Die Angabe muss also so konkret sein, dass später durch eine gerichtliche Prüfung zweifelsfrei geklärt werden kann, auf welchen Entziehungsgrund sich die Entziehung stützte und welcher Lebenssachverhalt dem zugrunde lag. Jedoch sind dabei der Entziehungsgrund und dessen Beweisbarkeit auseinanderzuhalten. Dies erfordert die Angabe eines zutreffenden Kernsachverhalts im Testament. Dazu muss sich der Erblasser mit seinen Worten auf bestimmte konkrete Vorgänge unverwechselbar festlegen und den Kreis der in Betracht kommenden Vorfälle praktisch brauchbar eingrenzen; die Begründung muss aber nicht in die Einzelheiten gehen. Nicht notwendig ist auch die Verwendung des Gesetzestextes. Die Anforderungen sollen jedoch verhindern, dass später in einem Pflichtteilsentziehungsprozess die Erben noch "Gründe nachschieben", die für die Entscheidung des Erblassers nicht motivierend waren.
Rz. 70
Die erforderliche Konkretisierung ist abhängig von der Art des Pflichtteilsentziehungsgrundes. So muss bei § 2333 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB auch angegeben werden, gegen wen sich die Verfehlung richtet; die Angabe eines abstrakten Straftatbestandes kann bei schweren Verfehlungen u.U. ausreichen, wenn dadurch der fragliche Sachverhalt hinreichend konkretisiert wird ("wegen Mordversuchs an mir"). Überhaupt wird eine "stichwortartige" Bezeichnung genügen. Entscheidend dafür, ob diese Kriterien eingehalten sind, muss die Beurteilung durch einen unbefangenen Dritten sein. Ungenügend ist daher eine Begründung, die nur dem Pflichtteilsberechtigten oder bestimmten Personen verständlich ist. Die Wiedergabe des abstrakten Gesetzesinhalts ist ebenfalls nicht ausreichend. Bei mehreren Pflichtteilsentziehungsgründen kann sich der Erblasser mit der Angabe eines Grundes zufriedengeben, trägt aber dann das Risiko, dass sich dieser später als nicht ausreichend herausstellt. Umgekehrt ist das Hinzufügen von (später nicht beweisbaren) Einzelumständen dann unschädlich, wenn sie für den Entziehungswillen des Erblassers ohne Bedeutung sind.
Rz. 71
Die Angabe des Entziehungsgrundes hat "in" der letztwilligen Verfügung zu erfolgen. Wegen des Formzwecks sind an die Einhaltung der Testamentsform hier keine geringeren Anforderungen zu stellen, als auch sonst im Erbrecht gelten. Nicht ausreichend ist daher, wenn der Pflichtteilsentziehungsgrund erst nach der Unterschrift des eigenhändigen Testaments genannt wird und von dieser nicht gedeckt ist oder wenn im Testament die abstrakten Tatbestände nur angedeutet sind ("Beleidigung, üble Nachrede in den Jahren …"), wegen der Einzelheiten aber auf Aktennotizen, die der Testamentsform nicht entsprechen, Bezug genommen wird. Dabei wird vom BGH zu Recht die Manipulationsgefahr betont. Auch reicht es nicht aus, wenn der Erblasser pauschal auf ein Geständnis verweist, welches der Pflichttei...