Dr. iur. Nikolas Hölscher
I. Grundsätzliches und Normzweck
Rz. 102
§ 2338 BGB gibt dem Erblasser die Möglichkeit, abweichend von § 2306 BGB, der der erbrechtlichen Gestaltung doch enge Grenzen setzt, den Pflichtteilsberechtigten mit weit reichenden Anordnungen zu belasten. Die Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht dient dabei zum einen dem wohlverstandenen Interesse des Pflichtteilsberechtigten, dessen erbrechtlicher Erwerb ohne die fürsorgerischen Maßnahmen gefährdet wäre. Dem liegt also eine altruistische Zwecksetzung zugrunde. Zum anderen soll dadurch das Familienvermögen vor der Gefahr des Verlustes durch Verschwendung oder Überschuldung geschützt werden, weshalb zutreffend von einem "Umverteilungseffekt innerhalb der Familie des Pflichtteilsberechtigten" gesprochen wird. Die Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht hat also – anders als die Pflichtteilsentziehung (§§ 2333 bis 2337 BGB) und die Pflichtteilsunwürdigkeit (§ 2345 Abs. 2 BGB) – keinen Strafcharakter. Wegen dieser unterschiedlichen Zwecksetzung kann auch eine Verzeihung i.S.v. § 2337 BGB eine Anordnung nach § 2338 BGB nicht unwirksam machen.
Rz. 103
Die nach § 2338 BGB möglichen Anordnungen kann selbst der durch gemeinschaftliches Testament oder Erbvertrag erbrechtlich gebundene Erblasser treffen (§§ 2289 Abs. 2, 2271 Abs. 3 BGB).
Rz. 104
Voraussetzungen der Pflichtteilsbeschränkung in guter Absicht (§ 2338 BGB)
1. Sachliche Voraussetzungen
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Anordnungsgründe
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Verschwendung |
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Überschuldung |
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Gefährdung des späteren Erwerbs |
2. Zeitliche Voraussetzungen
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Beschränkungsgrund im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen |
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Beschränkungsgrund im Zeitpunkt des Erbfalls |
3. Persönliche Voraussetzungen
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Person des Anordnenden |
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Person des Pflichtteilsberechtigten |
II. Voraussetzungen
1. Sachliche Voraussetzungen
a) Allgemeines
Rz. 105
In persönlicher Hinsicht kann nur gegenüber Abkömmlingen (ehelichen wie nichtehelichen, gleich welchen Grades) die Pflichtteilsbeschränkung angeordnet werden. Nicht möglich ist dies aber gegenüber dem Ehegatten oder den pflichtteilsberechtigten Eltern; werden ihnen gegenüber solche Belastungen verfügt, so greifen die allgemeinen Vorschriften der §§ 2306, 2307 BGB ohne weitere Beschränkungen ein.
Rz. 106
Anordnungsgründe sind nur die Verschwendung oder die Überschuldung. Auf andere Gründe (Drogen- oder Trunksucht, geistige Behinderung) kann die Pflichtteilsbeschränkung nicht gestützt werden, mögen diese den Erhalt des Nachlasses im Familienbesitz auch genauso gefährden; nach ganz h.M. ist § 2338 BGB als Ausnahmevorschrift mit seinem eng begrenzten Normzweck nicht analogiefähig. Die Verschwendung oder Überschuldung muss objektiv vorliegen; auf die subjektiven Vorstellungen des Erblassers, aber auch des von der Beschränkung betroffenen Pflichtteilsberechtigten kommt es nicht an. Mit der zwingenden Natur des Pflichtteilsrechts ist es nicht vereinbar, wenn der Erblasser die in § 2338 BGB genannten Anordnungen wirksam treffen könnte, obgleich deren Voraussetzungen nicht vorliegen, etwa weil ein geringer Grad von Verschwendung vorliegt; tut er dies dennoch, so greift der sonst von § 2338 BGB verdrängte § 2306 BGB ein (siehe Rdn 127 ff.).
b) Verschwendung
Rz. 107
Verschwendung setzt eine Lebensweise mit einem Hang zur zweck- und nutzlosen Vermögensverwendung voraus. Es muss ein triftiger Grund für die Annahme bestehen, der Abkömmling werde das ihm zugewandte Vermögen ganz oder wenigstens teilweise vergeuden, so dass von einer erheblichen Gefahr für den späteren Erwerb auszugehen ist.
c) Überschuldung
Rz. 108
Überschuldung des Abkömmlings liegt vor, wenn seine Verbindlichkeiten sein Aktivvermögen übersteigen (vgl. §§ 11, 19 Abs. 2, 320 InsO). Die bloße Zahlungsunfähigkeit oder die Insolvenzeröffnung genügt nicht. Ohne Bedeutung ist die Ursache der Überschuldung.
d) Gefährdung des späteren Erwerbs
Rz. 109
Weiter ist erforderlich, dass durch die Verschwendung oder Überschuldung der spätere Erwerb erheblich gefährdet wird. Objekt der Gefährdung kann nur der Erb- oder Pflichtteil des Abkömmlings sein, da ja auch nur dieser durch die Anordnungen geschützt werden kann. Eine erhebliche Gefährdung liegt dann vor, wenn nach objektiven Gesichtspunkten zu erwarten ist, dass der Erwerb wieder verloren geht, weil entweder die Gläubiger des Abkömmlings diesen pfänden und verwerten werden oder weil der Abkömmling ihn selbst vergeuden...