Dr. iur. Nikolas Hölscher
1. Kreis der Pflichtteilsberechtigten
Rz. 23
§ 2333 Abs. 2 BGB erklärt die für Abkömmlinge bestehenden Pflichtteilsentziehungsgründe nach § 2333 Abs. 1 BGB auch hinsichtlich des Eltern- oder Ehegattenpflichtteils für entsprechend abwendbar. Mit der einhergehenden Beseitigung der Sondervorschriften des § 2334 BGB (a.F.) zur Entziehung des Pflichtteils gegenüber einem Elternteil und des § 2335 BGB (a.F.) zur Entziehung des Pflichtteils gegenüber dem Ehegatten entfällt seither auch die damalige Differenzierung der Entziehungsgründe, die danach variierten, wem gegenüber der Pflichtteil entzogen werden sollte. Die ehemals diesbezüglich gemachten Unterschiede waren nicht nur nicht mehr nachvollziehbar und auch nicht mehr zeitgemäß, sondern führten zu willkürlichen Ergebnissen, die teilweise auch als verfassungswidrig bezeichnet wurden. Eine Beseitigung dieser Ungleichbehandlung, die schon lange kritisiert wurde, war daher dringend geboten. Aufgrund der Verweisung in § 10 Abs. 6 S. 2 LPartG gilt § 2333 BGB für die Entziehung des Pflichtteils gegenüber dem eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartner entsprechend.
Rz. 24
Trotz dieser Angleichung sind gewisse Wertungswidersprüche geblieben und nicht gelöst worden. Dies betrifft insbesondere die Entziehung des Pflichtteils von Ehegatten und Lebenspartnern. Früher war die Entziehung des Ehegattenpflichtteils eng an das Scheidungsrecht geknüpft, solange das Verschulden ein Scheidungsgrund war. Mit der Aufgabe des Verschuldensprinzips im Scheidungsrecht durch das 1. EheRG wurde § 2335 BGB daher mit Wirkung zum 1.1.1977 neu gefasst. Der früher bestehende Zusammenhang zwischen Pflichtteilsentziehung und Ehescheidungsrecht wurde beseitigt; der Entziehungsgrund des § 2333 Nr. 5 BGB a.F. (ehrloser oder unsittlicher Lebenswandel) wurde für den Ehegattenpflichtteil ausdrücklich nicht übernommen, um nicht wieder dem Verschuldensprinzip indirekt ein Einfallstor zu bieten. Dies galt aber allgemein als wenig geglückt und führte teilweise zu Wertungswidersprüchen mit dem nachehelichen Unterhaltsrecht. Denn bis zur Grenze eines fiktiven Ehegattenpflichtteils kann der geschiedene Ehegatte den Nachlass mit nachehelichen Unterhaltsansprüchen belasten (§ 1586b BGB). Und zumindest der Betreuungsunterhalt (§ 1570 BGB) wird in vielen Fällen nicht nach § 1579 BGB wegen Vorliegens einer groben Unbilligkeit ausgeschlossen sein. Demgegenüber kann der Pflichtteil ohne Rücksicht auf betreuungsbedürftige Kinder entzogen werden, wenn nur die allgemeinen Voraussetzungen hierfür – jetzt die des § 2333 BGB – vorliegen. Umgekehrt ergibt sich aber auch ein Problem, wenn während des Bestehens der Ehe ein Ehegatte von seiner Möglichkeit, dem anderen seinen Pflichtteil zu entziehen, keinen Gebrauch gemacht hat. Denn nach ganz h.M. kann dies nach der Scheidung nicht mehr nachgeholt werden. Der BGH hat allerdings die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung bejaht. Danach ist eine Pflichtteilsentziehung gegenüber einem Ehegatten als "Quasi-Scheidung" zwar nur noch in Ausnahmefällen möglich. Dadurch ergäbe sich aber nur eine Einschränkung der durch Art. 14 GG geschützten Testierfreiheit in Randbereichen, während gleichzeitig damit das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG verwirklicht würde.
Rz. 25
Auch im Zusammenhang mit dem Pflichtteil von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern auftretende Konkurrenzfragen wurden nicht befriedigend gelöst: Kommt es zur sog. güterrechtlichen Lösung, so berührt die Pflichtteilsentziehung den Anspruch auf Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 2 BGB nicht; u.U. kann aber die Erfüllung dieser Forderung nach § 1381 BGB wegen grober Unbilligkeit verweigert werden.Gleiches gilt bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern (§ 6 S. 2 LPartG). Die unter § 2333 Abs. 1 BGB fallenden persönlichen Verfehlungen können u.U. auch zum Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG (§ 1587c BGB a.F.) führen. Dagegen ist die Pflichtteilsentziehung weder erforderlich noch genügend, um nach der Scheidung den nachehelichen Unterhaltsanspruch des überlebenden Ehegatten gegen die Erben des Unterhaltsverpflichteten nach § 1586b BGB zu beseitigen. Zwar haften dessen Erben für den Unterhaltsanspruch "nicht über einen Betrag hinaus, der dem Pflichtteil entspricht". Jedoch ist der Anspruch nach § 1586b BGB ein rein unterhaltsrechtlicher, denn im Falle der Scheidung besteht wegen § 1933 BGB ohnehin kein Pflichtteilsrecht mehr. Soweit auf den Pflichtteil Bezug genommen wird, handelt es sich lediglich um eine gesetzestechnische Rechtsfolgeverweisung unabhängig davon, ob ein entsprechender Anspruch gegeben ist. Auch wäre es mit dem geltenden Unterhaltsrecht nicht vereinbar, wenn durch einseitige Erklärung jenseits der Härteklausel des § 1579 BGB der Anspruch auf nachehelichen Unterhalt beseitigt werden könnte.