Dr. iur. Nikolas Hölscher
1. Form der Entziehungsverfügung
Rz. 65
Aus Gründen der Rechtssicherheit und Beweisbarkeit verlangt das Gesetz hinsichtlich Form und Inhalt der Entziehungserklärung die Erfüllung von bestimmten Anforderungen. Hieran hat sich durch die Reform des Pflichtteilsrechts nichts Grundsätzliches geändert. Die Beachtung der Formvorschriften wird von den Instanzgerichten mitunter überspannt – offenbar, um eine inhaltliche Prüfung des Vorliegens der Entziehungsgründe zu vermeiden. Die Pflichtteilsentziehung scheitert daher oftmals nicht nur wegen des knappen Katalogs der Entziehungsgründe, sondern vor allem auch wegen der zu streng verstandenen formalen Vorgaben.
Rz. 66
Als Gestaltungsrecht muss die Pflichtteilsentziehung in der Form einer letztwilligen Verfügung (§ 1937 BGB) erklärt werden, ist aber ansonsten in allen Testamentsformen möglich (u.U. Nottestament, §§ 2249 ff. BGB), auch in einem gemeinschaftlichen Testament (§§ 2265 ff. BGB, dort aber nicht wechselbezüglich). In einem Erbvertrag kann die Pflichtteilsentziehung als einseitige Verfügung (§ 2299 BGB), nicht aber als vertragsmäßige erfolgen (vgl. § 2278 Abs. 2 BGB); wurde sie fälschlicherweise als erbvertragsmäßige bezeichnet, so handelt es sich um eine unschädliche Falschbezeichnung.
2. Inhalt der Entziehungsverfügung
Rz. 67
Die Entziehungsverfügung muss die Tatsache der Anordnung der Pflichtteilsentziehung, die davon betroffene Person, und zwar zumindest in bestimmbarer Weise, und den Grund der Entziehung enthalten (siehe Rdn 69 ff.). Die Anordnung der Entziehung braucht nicht ausdrücklich als solche bezeichnet zu werden. Jedoch muss sich der Entziehungswille wenigstens durch Auslegung der Verfügung von Todes wegen ermitteln lassen, wenn auch unter Beachtung der Kriterien der sog. Andeutungstheorie. Auch muss sich dadurch eindeutig ergeben, dass der Erblasser den gesetzlichen Erben nicht lediglich enterben, sondern ihm auch den Pflichtteil entziehen will. Dies kann sich auch aus den angegebenen Gründen ergeben. Dem juristischen Laien ist jedoch i.d.R. der Unterschied zwischen Enterbung und Pflichtteilsentziehung nicht geläufig (zum Zusammenhang von Enterbung und Pflichtteilsentziehung siehe Rdn 86).
3. Entziehungsgrund
a) Maßgeblicher Zeitpunkt
Rz. 68
Der Pflichtteilsentziehungsgrund (§ 2333 BGB) muss zur Zeit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen bestanden haben (§ 2336 Abs. 2 S. 1 BGB). Eine spätere Besserung des Verhaltens des Pflichtteilsberechtigten war nur bei dem früheren § 2333 Nr. 5 BGB a.F. (Entziehung wegen ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels) beachtlich, wie § 2336 Abs. 4 BGB a.F. hierfür ausdrücklich bestimmte. Eine Entziehung für künftige Fälle ist nicht möglich, wohl aber eine "Verdachtsentziehung", wenn der Erblasser vermutet, dass ein Entziehungstatbestand bereits verwirklicht wurde; entscheidend ist dann, ob sich der Verdacht bestätigt. Auch kann die an sich gerechtfertigte Entziehung befristet oder von einer Bedingung abhängig gemacht werden, etwa der Besserung, wie sich auch aus dem früheren § 2336 Abs. 4 BGB a.F. ergab. Bei einer Pflichtteilsentziehung gegenüber einem Abkömmling wegen einer gegenüber dem Ehegatten des Erblassers begangenen Verfehlung (§ 2333 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB) muss die Ehe nicht bis zur Errichtung der Entziehungsverfügung bestanden haben.
b) Angabe des Entziehungsgrundes
Rz. 69
Der Entziehungsgrund muss in der Verfügung von Todes wegen angegeben sein (§ 2336 Abs. 2 S. 1 BGB), also formgerecht. Dabei bestimmt das Gesetz nicht näher, in welcher Art und Weise dies erfolgen soll. Näheres ergibt sich jedoch aus dem Zweck der Bestimmung. Nach Ansicht des BGH besteht dieser darin, die spätere Beweisbarkeit der tatsächlichen Motivation des Erblassers für die Entziehungsentscheidung zu sichern, aber auch, den Erblasser wegen der weit reichenden Folgen der Entziehung zu einem "verantwortlichen Testieren" anzuhalten. Die Angabe muss also so konkret sein, dass später durch ei...