Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 10
Zur Geltendmachung der Pflichtteilsunwürdigkeit bedarf es keiner förmlichen Klage nach § 2342 BGB, denn auf diese Vorschrift wird in § 2345 BGB ausdrücklich nicht verwiesen. Vielmehr genügt eine Anfechtungserklärung gegenüber dem Unwürdigen als Gläubiger des Anspruchs (§ 143 Abs. 1 und 4 BGB). Die Anfechtungserklärung bedarf keiner besonderen Form; aus Beweisgründen ist jedoch eine schriftliche Erklärung mit Zugangsnachweis dringend zu empfehlen. Die Anfechtung kann auch im Wege der Einrede und der Leistungsverweigerung geltend gemacht werden (§§ 2345 Abs. 1, 2083 BGB).
Rz. 11
Anfechtbar sind auch der Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 BGB) und der Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB), da es sich nur um besondere Unterarten des Pflichtteilsanspruchs handelt.
Rz. 12
Anfechtungsberechtigt ist jeder, dem die Anfechtungswirkung, wenn auch nur mittelbar, zustattenkommt (§§ 2345 Abs. 1, 2341 BGB).
Rz. 13
Die Anfechtungsfrist beträgt ein Jahr und beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt (§§ 2345 Abs. 1, 2082 BGB). Im Falle des § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB reicht es nicht aus, dass der Anfechtungsberechtigte die Tatsachen kennt, die den objektiven und subjektiven Tatbestand des Tötungsdelikts ausfüllen und die Rechtfertigungsgründe ausschließen. Erforderlich ist vielmehr auch die Kenntnis der schuldbegründenden Merkmale, da bei schuldlosem Verhalten eine Erbunwürdigkeit nicht in Betracht kommt. Kennt der Anfechtende bei einer Testamentsfälschung gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB die Tatsache der Fälschung und die Person des Fälschers aus dem Gutachten eines gerichtlich vereidigten Sachverständigen, dann hat er die erforderliche Kenntnis, weil ihm jedenfalls dann die Klageerhebung zuzumuten ist.
Rz. 14
Auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist kann die Unwürdigkeit noch einredeweise geltend gemacht werden (§§ 2345 Abs. 1 S. 2, 2082 letzter Hs. BGB). Die Anfechtung ist aber ausgeschlossen, wenn der Erblasser dem Pflichtteilsunwürdigen verziehen hat (§§ 2345 Abs. 1, 2343 BGB).
Rz. 15
Die Wirkung der Anfechtung ist, dass ex tunc (§ 142 Abs. 1 BGB) die Pflichtteilsberechtigung des Pflichtteilsunwürdigen so entfällt, als ob er im Erbfall nie pflichtteilsberechtigt gewesen wäre. Jedoch können die in § 2309 BGB genannten entfernteren Pflichtteilsberechtigten dann ihrerseits den Pflichtteil verlangen, da damit die Sperre des § 2309 BGB beseitigt wird. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Erbe erst nach Ablauf der Anfechtungsfrist die Unwürdigkeit im Wege der Einrede geltend macht, da dadurch der Anspruch nicht erlischt. Für die entfernteren Pflichtteilsberechtigten liegt darin keine Unbilligkeit, da diese rechtzeitig selbst hätten anfechten können (Haftungsgefahr!). Etwa bereits an den Pflichtteilsunwürdigen erfolgte Leistungen können bei erfolgreicher Anfechtung nach §§ 812 Abs. 1, 813 BGB zurückgefordert werden, wobei hier auch § 142 Abs. 2 BGB zu beachten ist. Das Recht des Erblassers zur Pflichtteilsentziehung besteht neben der Anfechtung wegen Pflichtteilsunwürdigkeit, wenn im Einzelfall die Tatbestandsvoraussetzungen für beide Gestaltungsrechte vorliegen. Die Anfechtung wegen Pflichtteilsunwürdigkeit kann auch dann noch erfolgen, wenn der Erblasser auf die Pflichtteilsentziehung verzichtet hat, soweit darin nicht eine Verzeihung (§ 2343 BGB) zu sehen ist.
Rz. 16
Praxishinweis
▪ |
Auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist kann die Pflichtteilsunwürdigkeit i.d.R. einredeweise gegen den Pflichtteilszahlungsanspruch geltend gemacht werden (§ 2083 BGB). |
▪ |
Jedoch sind die verschiedenen Rechtsfolgen dieser Verteidigungsmöglichkeiten zu beachten:
▪ |
Die erfolgreiche Anfechtung nach § 2345 BGB wirkt nicht gegen Abkömmlinge des Unwürdigen oder andere entferntere Pflichtteilsberechtigte, die nach § 2309 BGB an seine Stelle treten. |
▪ |
Dagegen führt die Erhebung der Einrede nicht zu einem Pflichtteilsanspruch der entfernteren Pflichtteilsberechtigten. |
|