Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 127
Die eigentliche Bedeutung des § 2338 BGB erkennt man erst im Zusammenhang mit § 2306 BGB, zu der § 2338 BGB eine Ausnahmevorschrift ist. Als Faustregel kann man dabei angeben, dass § 2338 BGB den § 2306 BGB überlagert.
Rz. 128
Wird ein Vermächtnis zugewandt und nimmt der Pflichtteilsberechtigte das mit den Beschränkungen des § 2338 BGB belastete Vermächtnis an, so ergeben sich gegenüber der allgemeinen Regelung des § 2307 BGB keine Besonderheiten. Soweit ihm noch ein Pflichtteilsrestanspruch zusteht, wird auch dieser im Zweifel von diesen Anordnungen erfasst. Schlägt er das Vermächtnis aus, so erlangt er dadurch nach § 2307 BGB seinen Pflichtteilsanspruch. Jedoch kann er sich dadurch nicht der zulässigerweise angeordneten Beschränkungen i.S.d. § 2338 BGB entziehen. Sie bleiben auch bezüglich des Pflichtteilsanspruchs bestehen.
Rz. 129
Wird ein Erbteil zugewandt, so hat der pflichtteilsberechtigte Erbe das Wahlrecht, ob er den mit den Anordnungen i.S.d. § 2338 BGB belasteten Erbteil annimmt oder ausschlägt, um den Pflichtteil zu erlangen. Schlägt er aus, so erhält er zwar den Pflichtteil, auf den jedoch die zulässigerweise nach § 2338 BGB getroffenen Anordnungen übergehen; eine Nacherbschaft wandelt sich dabei in ein Nachvermächtnis um.
Rz. 130
Demgegenüber wird vertreten, dass der pflichtteilsberechtigte Erbe, der nur mit den nach § 2338 BGB zulässigen Anordnungen beschwert ist, im Falle der Ausschlagung überhaupt keinen Pflichtteil mehr erhält. Begründet wird dies zum einem mit der auch bei der Falllage des § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. diesbezüglich vertretenen Auffassung: Ebenso wie nach der Grundregel des Pflichtteilsrechts der als Erbe Berufene grundsätzlich nicht ausschlagen und stattdessen den Pflichtteil beanspruchen könne, sei nicht einzusehen, weshalb im Falle des § 2338 BGB der Abkömmling zwischen einer beschränkten Erbenstellung und einem gleichermaßen beschränkten Pflichtteil sollte wählen können. Dabei wird jedoch verkannt, dass diese Argumentation bereits nach dem früheren Recht nur für die Falllage des § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. richtig war, aber gerade nicht, wenn der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen überstieg. Bereits nach altem Recht hatte der Pflichtteilsberechtigte dann ein Wahlrecht gem. § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. zum unbelasteten Pflichtteil, der aber gerade entsprechend dem Normzweck des § 2338 BGB geschützt werden soll. Deshalb mussten die danach zulässigen Anordnungen bestehen bleiben. Da das geltende Recht allein die Ausschlagungslösung des § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. übernommen hat, müssen auch die dazu im Kontext zu § 2338 BGB entwickelten Grundsätze insoweit Anwendung finden.
Rz. 131
Zum anderen wird die Auffassung, wonach der zulässigerweise mit Anordnungen i.S.d. § 2338 BGB beschwerte pflichtteilsberechtigte Erbe durch die Ausschlagung auch den Pflichtteil verliert, mit einem Hinweis auf den Sinn und Zweck des § 2306 BGB begründet. Denn nach ganz h.M. werden Anordnungen i.S.d. § 2338 BGB von § 2306 BGB nicht erfasst. Daher sei bereits der Tatbestand für das Eingreifen des § 2306 BGB nicht erfüllt, wenn der Erblasser nur Beschränkungen in guter Absicht i.S.d. § 2338 BGB anordnet. Deswegen fehle es an den Voraussetzungen, nach denen ausnahmsweise der zum Erben berufene Pflichtteilsberechtigte entgegen der allgemeinen Grundregel trotz der Ausschlagung der Erbschaft seinen Pflichtteil verlangen könne. Dieses Ergebnis stehe auch in Übereinstimmung mit dem Sinn und Zweck des § 2306 BGB. Danach soll der Pflichtteilsberechtigte vor unliebsamen Anordnungen des Erblassers und den sich daraus ergebenden Beeinträchtigungen seiner Mindestteilhabe am Nachlass geschützt werden. Hierfür bestehe aber bei den Anordnungen des § 2338 BGB keine Notwendigkeit. Denn bei diesen steht im Vordergrund, dass im Wege einer Zwangsfürsorge der Betroffene gerade geschützt werden soll.
Rz. 132
An dieser Argumentation muss jedoch bereits der Ansatzpunkt in Zweifel gezogen werden, dass die Anordnungen des § 2338 BGB keine solchen i.S.d. § 2306 BGB sind. Die hierzu gemachten Aussagen standen überwiegend im Zusammenhang mit der früheren Regelung des § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB, die durch die Pflichtteilsrechtsreform beseitigt wurde. Der Hinweis auf den besonderen Fürsorgezweck des § 2338 BGB muss aber zu einem genau gegenteiligen Ergebnis führen: Denn es wäre eine besondere Härte für den ausschlagenden Pflichtteilsberechtigten, wenn er bei der Normsituation des § 2338 BGB nicht nur die belastete Erbschaft, sondern auch noch seinen Pflichtteil verliert, obwohl dieser entsprechend dem Zweck der Norm durch diese schützenden Anordnungen gerade vor unliebsamen Zugriffen bewahrt werden soll und letztlich auch bewahrt wird. Der Verlust des Pflichtteils wäre daher ein Ergebnis, das auch aus verfassungsrechtlichen Gründen bedenklich ist. Denn damit wird unnötigerweise in den verfassungsrechtlich geschützten Pflichtteil des Abkömmlings eingegriffen. Hierfür besteht aber schon des...