Rz. 107
Bei der Unfallregulierung gibt es keine Schadenposition, über die so andauernd und heftig gestritten wird, wie dies bei den Mietwagenkosten der Fall ist. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Es handelt sich um "Verträge zu Lasten Dritter", da Vermieter und Mieter davon ausgehen, dass die "Zeche" von einem Haftpflichtversicherer gezahlt wird.
Rz. 108
Bereits das Begriffspaar "Unfallersatztarif" und "Selbstzahlertarif" (Normaltarif) ist ebenso entlarvend wie irreführend: Unfallersatztarife, bei denen die Beteiligten davon ausgehen, dass ein Dritter die Mietwagenkosten trägt, liegen um bis zu 465 % (!) über dem Normaltarif.
Rz. 109
Nach einem unverschuldeten Unfall wird dem Geschädigten ein Mietwagen oft geradezu aufgedrängt, selbst wenn ein Mietwagen nicht unbedingt erforderlich ist. Die Reparaturwerkstätten, die oft mit Mietwagenunternehmen zusammenarbeiten oder selbst Mietwagen zur Verfügung stellen, machen nicht darauf aufmerksam, dass ein Geschädigter statt eines Mietwagens eine Nutzungsausfallentschädigung beanspruchen kann, die pro Tag zwischen 23 EUR und 175 EUR liegt.
Rz. 110
In Österreich erhält ein Geschädigter eine Prämienvergünstigung, wenn er nach einem Unfall auf einen Mietwagen verzichtet, sodass dort nur 1 % der Geschädigten einen Mietwagen in Anspruch nehmen, während in Deutschland 25 % aller Unfallgeschädigten auf einen Mietwagen zurückgreifen.
Rz. 111
Das "Unfallgeschäft" macht etwa die Hälfte des Gesamtumsatzes der Mietwagenunternehmen aus, die jährlich annähernd 1 Mrd. EUR von den Haftpflichtversicherern erhalten.
1. Erforderlichkeit
Rz. 112
Der Geschädigte kann die Erstattung des Unfallersatztarifs nur dann verlangen, wenn er nachweist, dass ihm trotz entsprechender Anstrengungen in der konkreten Situation kein günstiger Normaltarif zugänglich war. Es geht nicht um die Schadenminderungspflicht, vielmehr darum, ob der Unfallersatztarif "erforderlich" im Sinne von § 249 BGB ist. Den Normaltarif übersteigende Mietwagenkosten werden daher nur dann ersetzt, wenn der Geschädigte darlegt und beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnismöglichkeiten unter zumutbaren Anstrengungen der wesentlich günstigere Normaltarif nicht zugänglich war.
2. Erkundigungspflicht
Rz. 113
Der Geschädigte muss sich demnach erkundigen, ob und inwieweit günstigere Normaltarife angeboten werden. Das Vertrauen darauf, der Unfallersatztarif sei auf die speziellen Bedürfnisse eines Unfallgeschädigten zugeschnitten, rechtfertigt es nicht, ungerechtfertigt überhöhte und durch angebliche Mehrleistung des Vermieters konstruierte Unfallersatztarife zu akzeptieren.
Rz. 114
Auch derjenige, der erstmals mit der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs befasst ist, muss sich erkundigen, ob der vom Mietwagenunternehmen angebotene Preis ortsüblich ist. Der Geschädigte, der sich nicht nach günstigeren Tarifen erkundigt, kann sich nicht darauf berufen, dass ihm der Autovermieter nur einen einzigen Tarif – den Unfallersatztarif – angeboten hat. Wenn die Anmietung erst einen Tag nach dem Unfall erfolgt, besteht keine Eil- oder Notsituation, sodass der Geschädigte sich nach anderen Tarifen erkundigen und ggf. Konkurrenzangebote einholen muss.
3. Hinweispflicht des Autovermieters
Rz. 115
Ein Mietwagenunternehmer ist verpflichtet, den Mieter eines Unfallersatzfahrzeugs darauf hinzuweisen, dass es Regulierungsschwierigkeiten mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer bei der Abrechnung von Mietwagenkosten gibt, die nach dem Unfallersatztarif berechnet werden.
Rz. 116
In einer Entscheidung vom 25.3.2009 hat der Bundesgerichtshof nochmals darauf hingewiesen, dass bei der Anmietung eines Unfallersatzfahrzeugs der Unfallgeschädigte in der Regel davon ausgeht, dass die Mietwagenkosten vom Unfallgegner erstattet werden. In dieser Annahme werde er durch den Begriff "Unfallersatztarif" bestärkt. Da Autovermieter spätestens seit dem Jahre 2002 wissen, dass dieser Tarif von Haftpflichtversicherern nicht ohne weiteres erstattet wird, sind sie daher verpflichtet, den Mieter auf derartige Regu...