Rz. 470
Die Verwirkungsklausel muss ausreichend bestimmt und hinreichend klar formuliert sein. Vor allem in Bezug darauf, wie ernsthaft das Verlangen des Pflichtteils sein muss, insbesondere, ob schon das Verlangen ausreicht oder ob der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteilsbetrag auch ganz oder teilweise erhalten haben muss. Die h.M. hält im Wege der wohlwollenden Auslegung auch noch sehr allgemein und weit gefasste Anordnungen für wirksam, um dem Willen des Erblassers so weit wie möglich zur Geltung zu verhelfen.
Rz. 471
So hat das OLG Dresden darauf abgestellt, dass die testamentarische Klausel "wer das Testament anficht", sofern nicht entsprechende Hinweise gegeben sind, nicht auf die Anfechtung gem. §§ 2078 ff. BGB beschränkt ist, sondern alle Handlungen erfasst, die geeignet sind, die Verfügung ganz oder teilweise zu Fall zu bringen, also auch Einwendungen im Erbscheinsverfahren gegen die Wirksamkeit der Verfügung (z.B. Testierunfähigkeit des Erblassers). Im Wege der Auslegung ist im Einzelfall zu ermitteln und festzustellen, welches Verhalten des Bedachten zur Bedingung erhoben ist und zur Verwirkung der ihm zugedachten Zuwendung führt.
Rz. 472
Pflichtteilsklausel als Vermächtnisanordnung für Stiefkinder
Einen besonderen Fall der Auslegung einer Pflichtteilsklausel hat das OLG Celle bei Vorhandensein von Kindern aus zwei verschiedenen Ehen vorgenommen ("Patchwork-Familie").
Ein Ehepaar hatte ein gemeinsames Kind, für die Ehefrau war es die zweite, für den Ehemann die erste Ehe. Aus ihrer ersten Ehe hatte die Ehefrau zwei Kinder. In einem gemeinschaftlichen Testament haben sich die Eheleute gegenseitig zu alleinigen befreiten Vorerben eingesetzt. Nacherben sollten alle drei Kinder sein. Das Testament enthielt eine Pflichtteilsklausel, wonach die Eheleute die Erbeinsetzung davon abhängig gemacht haben, dass die für den ersten Erbfall getroffene Regelung hingenommen werde. Damit stand die Erbfolge der Kinder des zuerst versterbenden Ehegatten nach dem überlebenden Ehegatten unter der auflösenden Bedingung (§ 2075 BGB), dass sie der in dem Testament enthaltenen Strafklausel nicht zuwiderhandelten. Auf den Tod ihrer Mutter haben deren aus ihrer ersten Ehe stammenden Kinder den Pflichtteil verlangt und auch ausgezahlt bekommen. Auf den Tod des überlebenden Witwers war streitig, ob die erstehelichen Kinder der vorverstorbenen Ehefrau Nacherben – bzw. Ersatzerben gem. § 2102 Abs. 2 BGB – geworden sind und welchen Inhalt die Pflichtteilsklausel in Bezug auf die erstehelichen Kinder haben sollte.
Da die Kinder nach dem Tod des jeweiligen Stiefelternteils kein Pflichtteilsrecht haben, war die Strafklausel auslegungsbedürftig. Sie war (nach OLG Celle) dahin gehend auszulegen, dass die Eheleute denjenigen, der nach dem Erstversterbendem den Pflichtteil verlangt, nur noch mit einem Vermächtnis in Höhe des fiktiven Pflichtteils nach dem überlebenden Ehegatten bedenken wollten. Die Eheleute haben unter dem Pflichtteil ein (Geld-)Vermächtnis in Höhe des rechtlich nicht gegebenen Pflichtteils (§ 2303 Abs. 1, § 1924 Abs. 1 BGB) verstanden.
Die betroffenen Kinder sollten auch bei Eingreifen der Pflichtteilsklausel nach dem erstversterbenden Ehegatten etwas aus dem Nachlass beim Tod des Überlebenden erhalten. Umstände, die darauf hindeuten, dass die Eheleute die Klausel dahin verstanden hätten oder dahin hätten verstanden wissen wollen, dass die Kinder nach Pflichtteilsverlangen beim zweiten Erbfall überhaupt nichts mehr hätten erhalten sollen, liegen nicht vor. Der Wortlaut lässt deutlich erkennen, dass die Eheleute den Kindern bei unerwünschtem Pflichtteilsverlangen hier nicht die Stellung von Erben nach dem Tod des Letztversterbenden verschaffen wollten, sondern dass die Kinder in diesem Fall nicht etwa nichts mehr, sondern "nur" den "Pflichtteil" und damit weniger als die ⅓-Erbanteile erhalten sollten.
Die Eheleute haben unter dem Pflichtteil ein (Geld-)Vermächtnis in Höhe des rechtlich nicht gegebenen Pflichtteils verstanden. Dabei sollten die Kinder wie Abkömmlinge des Stiefelternteils behandelt werden. Das ist aus dem Gesamtinhalt des Testaments zu schließen, insbesondere aus der Nach- und Ersatzerbeneinsetzung. Der Berechnung dieses "Pflichtteils"-Vermächtnisses ist hier der Nachlass des Erblassers, nicht derjenige dessen vorverstorbener Ehefrau zugrunde zu legen, weil die Testierenden ihre Vermögen getrennt vererbt haben. Der Zweck der Pflichtteilsklausel, der auf einen möglichst ungeschmälerten Vermögensübergang auf den überlebenden Ehegatten und auf Einräumung einer möglichst freien Stellung für diesen gerichtet ist, wird durch das Vermächtnis erreicht.