Rz. 28
Hat der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen hinterlassen, so ist zunächst zu klären, ob er insoweit noch frei war in seiner Testiermöglichkeit oder ob dem ein Erbvertrag oder ein gemeinschaftliches Testament, das er mit seinem vorverstorbenen Ehegatten/eingetragenem Lebenspartner errichtet hatte, entgegenstand. Leben noch beide Ehegatten/eingetragene Lebenspartner, so könnte, falls in einem gemeinschaftlichen Testament wechselbezügliche Verfügungen getroffen wurden, einer der Ehegatten/Lebenspartner kein anders lautendes einseitiges Testament errichten, er könnte lediglich durch notariellen einseitigen Widerruf davon loskommen, §§ 2271 Abs. 1, 2296 BGB.
a) Bindung beim gemeinschaftlichen Testament
aa) Testierfreiheit zu Lebzeiten beider Ehegatten/Lebenspartner
Rz. 29
Ein Ehegattentestament oder ein gemeinschaftliches Testament eingetragener Lebenspartner (§ 10 LPartG) ist hinsichtlich seiner wechselbezüglichen Verfügungen ab dem Tod des Erststerbenden bindend, § 2271 Abs. 2 BGB, § 10 LPartG. Von Wechselbezüglichkeit spricht man, wenn die Verfügung des einen Ehegatten/Lebenspartners nicht ohne die des anderen getroffen worden wäre. Anders gesagt: Der eine Ehegatte/Lebenspartner hat seine Verfügung nur im Hinblick auf die Verfügung des anderen so getroffen. Voraussetzung ist also eine gegenseitige innere Abhängigkeit beider Verfügungen voneinander. Beide Verfügungen "stehen und fallen miteinander". Wechselbezüglich können nach § 2270 Abs. 3 BGB jedoch nur
▪ |
die Erbeinsetzung, |
▪ |
das Vermächtnis, |
▪ |
die Auflage oder |
▪ |
die Rechtswahl |
sein. (Parallelvorschrift zum Erbvertrag: § 2278 Abs. 2 BGB).
Beachte
Nicht das Negativum der Enterbung, sondern nur die positive Erbeinsetzung.
Rz. 30
Verfügungen, die im Wechselbezug stehen, müssen nicht zwingend zeitgleich in einer einheitlichen Urkunde getroffen werden. Sie können auch nacheinander in getrennten Urkunden niedergelegt werden. Allerdings muss in diesem Fall ein entsprechender Verknüpfungswille feststellbar sein, der sich aus den Urkunden zumindest andeutungsweise ergeben muss. Auch ein langer Zeitraum von fast 40 Jahren, der zwischen den beiden Testamenten liegt, spricht nach den Gesamtumständen nicht entscheidend gegen die Annahme eines Verknüpfungswillens der Eheleute. Anhaltspunkte für eine nachträgliche Verknüpfung können sich etwa auch aus einer inhaltlichen Bezugnahme und einer gemeinsamen Verwahrung der Testamente ergeben.
bb) Bindung nach dem Tod eines Ehegatten/Lebenspartners
Rz. 31
Ob testamentarische Verfügungen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander stehen, entscheiden die Ehegatten/Lebenspartner selbst. Es kommt insofern also auf den Erblasserwillen an. Wechselbezüglichkeit ist für jede einzelne testamentarische Verfügung gesondert zu prüfen. Sie kann nicht angeordnet werden für Teilungsanordnung, Testamentsvollstreckungsanordnung, familienrechtliche Anordnungen. Es unterliegt dem – erforderlichenfalls durch Auslegung zu ermittelnden – Willen der Erblasser, ob und in welchem Umfang jede einzelne Verfügung wechselbezüglich sein soll. Deshalb sollte jedes gemeinschaftliche Testament dazu Aussagen enthalten. Fehlen entsprechende eindeutige Aussagen im Testament, so wird in § 2270 Abs. 2 BGB Wechselbezüglichkeit vermutet, wenn sich die Ehegatten/Lebenspartner gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten/Lebenspartner eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten von diesem eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten/Lebenspartnerverwandt ist oder ihm sonst nahe steht. "Nahe stehend" i.S.v. § 2270 Abs. 2 BGB kann auch eine juristische Person sein.
Rz. 32
Ein Erbvertrag ist bindend, wenn er mindestens eine vertragsmäßige Verfügung enthält, § 2278 BGB. Hierbei können ebenfalls nur Erbeinsetzung, Vermächtnis- und Auflagenanordnung sowie Rechtswahl erbvertraglich bindend vereinbart werden, § 2278 Abs. 2 BGB. Die Bindung tritt ein, da es sich um einen Vertrag handelt, mit Abschluss des Erbvertrags, also mit der Unterschrift des Notars unter der Urkunde.
Rz. 33
Ein gemeinschaftliches Testament ist zu Lebzeiten beider Ehegatten bzw. beider eingetragener Lebenspartner nicht bindend; nach § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB erfolgt der Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments zu Lebzeiten beider Testatoren nach den Rücktrittsvorschriften des Erbvertragsrechts (Zugang einer notariell beurkundeten Widerrufserklärung in Ausfertigung [die Ausfertigung ersetzt die Urschrift im Rechtsverkehr, § 47 BeurkG]).
Der Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments befindet sich nach einer vom Erklärenden nicht zu verantwortenden unwirksamen Zustellung (einer beglaubigten Abschrift) weiterhin "auf dem Weg" zum Erklärungsempfänger, solange der Zustellungsauftrag (einer Ausfertigung) vom Auftraggeber nicht als abgeschlossen betrachtet wird. Daher kann durch alsbaldige nachfolgende Zustellung einer Ausfertigung der Widerruf noch wirksam erklärt werden.
Erst mit dem Tod eines der Testatoren tritt bezüglich der wechselbezüglichen Verfügungen Bindung des Überlebenden an die von ihm auf sein...