a) Auflehnen gegen den wahren Willen des Erblassers
Rz. 473
Erforderlich ist ein Auflehnen gegen den wahren Willen des Erblassers. Im Grundsatz wird das bewusste Sich-Widersetzen, ein bewusster Verstoß gegen Anordnungen des Erblassers verlangt, damit die Verwirkungsklausel ihre Rechtswirkung entfaltet.
Rz. 474
Eine derartige Auflehnung gegen den wahren Willen des Erblassers mit der Verwirkungsfolge liegt u.a. in jeder prozessualen Geltendmachung der Unwirksamkeit nicht nur im Wege der Anfechtungsklage, auch im Wege einer Einrede im Prozess, u.U. schon in einem Antrag auf Prozesskostenhilfe zur Vorbereitung einer Klage. Auch ein außergerichtliches, ernsthaftes, nachdrückliches Verlangen kann schon Auflehnungscharakter haben. Hier ist aber zumindest im Wege der Auslegung (der vom Pflichtteilsberechtigten abgegebenen Erklärung) genau darauf zu achten, ob es sich nicht nur um Unmutsäußerungen des Bedachten handelt. Grundsätzlich bedarf es eines bewussten Verstoßes gegen eine Verwirkungsklausel, einer bewussten Missachtung des Erblasserwillens.
Rz. 475
Bei einer allgemein formulierten Verwirkungsklausel (z.B. "Wer mein Testament anficht") löst die Geltendmachung des Pflichtteils durch den Bedachten die Verwirkungsklausel grundsätzlich noch nicht aus. Auch Einwendungen gegen Anordnungen im Testament mit der Begründung, damit solle dem wahren Willen des Erblassers zum Zuge verholfen werden, verstoßen nicht gegen eine Verwirkungsklausel, wenn hierfür Anhaltspunkte von erheblichem Gewicht bestehen. Insbesondere die erfolgreiche Geltendmachung gesetzlich gegebener Ansprüche, wie z.B. eines Auskunftsanspruchs über den Umfang des Nachlasses, wird die Verwirkungsklausel nicht auslösen. Ist der Angriff gegen ein Testament (z.B. Anfechtung, Geltendmachung der Testierunfähigkeit des Erblassers) aber erfolglos, so kann in dem Verhalten des Bedachten ein Verstoß gegen die Strafklausel liegen, wenn erkennbar Anhaltspunkte für die geltend gemachten Bedenken fehlten.
b) Insbesondere: Verwirkung der Erbeinsetzung bei Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs
Rz. 476
Eine in einem Berliner Testament vorgesehene Verwirkungsklausel für den Fall, dass ein Berechtigter nach dem Ableben des ersten Elternteils den Pflichtteil verlangt, kann dahin gehend auszulegen sein, dass ein "Verlangen des Pflichtteils" bereits dann vorliegt, wenn ein als Schlusserbe eingesetzter Abkömmling nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils dem überlebenden Elternteil die Zahlung des Pflichtteils als hochverzinsliches Darlehen stundet und diesen Anspruch durch eine Grundschuld absichern lässt.
Rz. 477
Bei einem Berliner Testament mit Verwirkungsklausel (Pflichtteilsklausel) kann der Eintritt der auflösenden Bedingung grundsätzlich auch nach dem Tod des längstlebenden Ehegatten, nach Annahme der Schlusserbschaft und nach Verjährung des Pflichtteilsanspruchs nach dem Erstverstorbenen herbeigeführt werden.
Anders OLG Stuttgart: Enthält ein Erbvertrag (oder ein Testament) eine Pflichtteilsklausel mit einer aufschiebend bedingten Enterbung, so kann ein Pflichtteilsverlangen auf den Tod des Zuerststerbenden nur bis zum Tod des Letztversterbenden zum Ausschluss der gesetzlichen Erbfolge führen.
Rz. 478
Ein sehr kritisch zu sehendes Urteil des OLG Frankfurt:
Zitat
1. Eine Pflichtteilsstrafklausel in einem gemeinschaftlichen Testament ("Sollte eines der Kinder auf Auszahlung seines Pflichtteils bestehen, so soll es auch nach Ableben des überlebenden Ehepartners nur einen Pflichtteil bekommen.") kommt auch dann zur Anwendung, wenn alle Pflichtteilsberechtigten ihre Pflichtteilsansprüche vereint geltend machten.
2. Denn die Pflichtteilsstrafklausel soll nicht allein die Übervorteilung eines Pflichtteilsberechtigten gegenüber den übrigen verhindern, sondern dient vor allem der wirtschaftlichen Absicherung des überlebenden Ehegatten. An dieser Beurteilung ändert sich nichts dadurch, dass die Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche im Einvernehmen mit dem überlebenden Ehegatten erfolgt.“
Rz. 479
Ein "Verlangen des Pflichtteils" im Sinne einer Pflichtteilsstrafklausel kann auch dann vorliegen, wenn der Anspruch aufgrund eines zuvor erfolgten Erlasses objektiv nicht mehr bestand, so...