a) Kenntnis des Erblassers vom Anfechtungsgrund trotz Rechtsirrtums über die Bindungswirkung des Ehegattentestaments
Rz. 344
OLG Frankfurt, Beschl. v. 1.7.1999:
Zitat
"Die einjährige Frist zur Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament wegen Übergehens der zweiten Ehefrau (§§ 2283 Abs. 2 S. 1 Alt. 2, 2079 BGB) beginnt auch dann im Zeitpunkt der neuen Eheschließung, wenn der Erblasser sich im Hinblick auf die Wiederverheiratung irrtümlich nicht mehr an das gemeinschaftliche Testament gebunden glaubte."
Bei einem gemeinschaftlichen Testament erstreckt sich die Wechselbezüglichkeit nicht zwangsläufig auf das gesamte Testament. Sie ist vielmehr für jede einzelne in dem Testament getroffene Verfügung gesondert zu prüfen. Entscheidend ist der Wille der Testierenden.
Rz. 345
Wenn sich kinderlose Ehegatten gegenseitig bedenken und bestimmen, nach dem Tod des Längstlebenden solle das beiderseitige Vermögen teils an Verwandte des Mannes, teils an Verwandte der Ehefrau fallen, ist ein deutlicher Anhaltspunkt dafür gegeben, dass die Einsetzung der Gatten zueinander wechselbezüglich sein soll, außerdem aber auch die Einsetzung der Verwandten des anderen Gatten, § 2270 Abs. 2 BGB. Mangels anderer Anhaltspunkte haben die Zuwendungen an die Verwandten der vorverstorbenen Ehefrau für den Erblasser wechselbezüglichen Charakter. Diese Verfügungen konnte der Erblasser, nachdem er die Erbschaft seiner ersten Ehefrau angenommen hatte, durch das spätere notarielle Testament nicht widerrufen oder aufheben, § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB.
Rz. 346
Dies gilt jedoch nicht ohne weiteres für die im Verhältnis zu seinen eigenen Verwandten getroffenen Verfügungen des Erblassers. Hier ist zu prüfen, ob diese Einsetzung mit der Einsetzung des Ehegatten wechselbezüglich sein soll. Dabei spricht allein der Grad der Verwandtschaft oder Schwägerschaft weder für die Wechselbezüglichkeit noch gegen sie. Im Zweifel erstreckt sich die Wechselbezüglichkeit nicht auf die Einsetzung der Verwandten des überlebenden Ehegatten. In einem solchen Fall ist der überlebende Ehegatte an die Erbeinsetzung der eigenen Verwandten nicht gebunden.
Rz. 347
Die zweite Ehefrau des Erblassers konnte die wechselbezüglichen und damit gem. § 2271 Abs. 2 BGB mit dem Tod der ersten Ehefrau unwiderruflich gewordenen letztwilligen Verfügungen nach § 2079 BGB anfechten, weil sie erst nach Errichtung des gemeinsamen Testaments pflichtteilsberechtigt geworden ist. Da diese Anfechtung den Einschränkungen unterliegt, die gem. §§ 2281–2285 BGB für den Erbvertrag gelten, ist zu prüfen, ob der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes sein Anfechtungsrecht bereits verloren hatte, weil die einjährige Anfechtungsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war. Nach § 2283 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB beginnt die Frist zu laufen, sobald der Anfechtungsberechtigte Kenntnis vom Anfechtungsgrund hat.
Der Zeitpunkt für den Lauf der Anfechtungsfrist ist hier der Tag der Eheschließung (§§ 2281 Abs. 1, 2079 BGB).
Sollte der Erblasser irrtümlich angenommen haben, wegen seiner erneuten Heirat sei er nicht mehr an das gemeinschaftliche Testament gebunden, so ist dieser Irrtum auf den Lauf der Frist ohne Einfluss.
b) Anfechtung einer wechselbezüglichen Verfügung durch den Erblasser nach dem Tod des erststerbenden Ehegatten
Rz. 348
Fall
Ein Ehepaar, aus dessen Ehe zwei Kinder hervorgegangen sind, errichtete im Jahr 1954 ein gemeinschaftliches Testament, durch das sie sich gegenseitig als befreite Vorerben und ihre beiden Kinder als Nacherben einsetzten. Die Ehefrau starb im Jahr 1971. Im Jahr 1972 heiratete der überlebende Witwer ein zweites Mal. Aus dieser Ehe gingen eine Tochter und ein Sohn hervor. Innerhalb eines Jahres nach der Geburt der Tochter focht der Witwer das gemeinschaftliche Testament von 1954 durch notarielle Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht an. Aufgrund dessen ist die vorverstorbene erste Ehefrau kraft Gesetzes beerbt worden, vom Witwer zur Hälfte und von den erstehelichen Kindern zu je einem Viertel. Der Witwer starb 1998. Aufgrund seines formgültigen Testaments von 1996 wurde die zweite Ehefrau und jetzige Witwe seine Alleinerbin.
Die beiden erstehelichen Kinder wollen wissen, ob sie die zweite Ehefrau und jetzige Alleinerbin ihres Vaters auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses der Mutter und über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände in Anspruch nehmen können. Außerdem sind sie der Meinung, sie könnten Einräumung des Mitbesitzes am Nachlass der Mutter, Grundbuchberichtigung hinsichtlich der Nachlassgrundstücke und die Auseinandersetzung des Nachlasses nach ihrer Mutter verlangen.
Lösung
Der Witwer und Vater der beiden erstehelichen Kinder war Erbschaftsbesitzer. Nach dem Wortlaut des § 2018 BGB ist unter einem Erbschaftsbesitzer zu verstehen, wer aufgrund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Erbrechts etwas aus der Erbschaft erlangt hat. Er hat mit der Anfechtung des Tes...