I. Allgemeines
Rz. 4
Für eine Feststellungsklage besteht auch dann ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn ein Erbscheinsverfahren anhängig gemacht werden könnte, während eines laufenden Erbscheinsverfahrens oder wenn ein Erbschein bereits erteilt wurde. Denn das Ergebnis des Erbscheinsverfahrens hat mangels einer der Rechtskraft fähigen Entscheidung keine Bindungswirkung für einen nachfolgenden streitigen Prozess über die Feststellung des Erbrechts.
Der Rechtsstreit über die Feststellung eines Erbrechts kann auch nicht wegen eines bereits anhängigen Erbscheinsverfahrens nach § 148 ZPO ausgesetzt werden.
Umgekehrt: Ein Erbscheinsverfahren kann nach § 21 Abs. 1 FamFG ausgesetzt werden, wenn zwischen den Erbprätendenten ein Zivilrechtsstreit zur Feststellung des Erbrechts anhängig ist, denn das Ergebnis eines Feststellungsrechtsstreits ist für ein Erbscheinsverfahren unter denselben Beteiligten vorgreiflich. Die Aussetzung ist auch im Rechtsbeschwerdeverfahren zulässig, ohne dass es hierfür eines Antrags oder der Zustimmung der Beteiligten bedarf. Das mit dem Erbscheinsverfahren befasste Gericht entscheidet von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen über die Aussetzung. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die durch die Aussetzung eintretende Verzögerung den Beteiligten zugemutet werden kann. Der Aussetzungsbeschluss ist mit der sofortigen Beschwerde entsprechend ZPO-Regeln anfechtbar, § 21 Abs. 2 FamFG.
Rz. 5
Zur Rechtswegerschöpfung im Sinne des Verfassungsbeschwerderechts: Solange ein Erbprätendent nicht sowohl das Erbscheinsverfahren als auch die Möglichkeit des Erbenfeststellungsprozesses durch alle in Betracht kommenden Instanzen verfolgt hat, kann eine Verfassungsbeschwerde gegen eine abschlägige gerichtliche Entscheidung nicht erhoben werden.
Rz. 6
Sollte einer positiven Feststellungsklage stattgegeben werden, so steht im Verhältnis der beiden Prozessparteien fest, dass der Kläger Erbe geworden ist. Wird die positive Feststellungsklage jedoch abgewiesen, so steht lediglich im Verhältnis der Parteien fest, dass der Kläger nicht Erbe geworden ist. Will der Beklagte aber seine Feststellung als Erbe erreichen, so muss er eine Feststellungswiderklage (vgl. Muster zur Feststellungswiderklage Rdn 355) erheben; die reine Klageabweisung reicht dafür nicht.
II. Unterschiede zwischen Erbenfeststellungsklage und Erbscheinsverfahren
Rz. 7
Zunächst ist ein elementarer Unterschied zwischen Zivilprozess einerseits und Erbscheinsverfahren andererseits festzustellen: Die Parteien des Zivilprozesses sind der Kläger und der Beklagte (formeller Parteibegriff). Die Beteiligten des Erbscheinsverfahrens nennt das FamFG und unterscheidet zwischen "Muss-Beteiligten" und "Kann-Beteiligten" unter Aufgabe der bisherigen Begriffe des "formell Beteiligten" und des "materiell Beteiligten". Nach §§ 7 und 345 Abs. 1 S. 1 FamFG ist nur der Antragsteller zwingend Beteiligter ("Muss-Beteiligter"). Die gesetzlichen Erben bei testamentarischer Erbfolge oder die in anderen Testamenten des Erblassers bedachten Personen müssen nach § 345 Abs. 1 S. 3 FamFG nur beteiligt werden, wenn sie dies beantragen.
Diese Regelung greift m.E. vor dem zwingenden Erfordernis der Gewährung rechtlichen Gehörs gem. § 103 Abs. 1 GG zu kurz.
Entsprechend dem Beschluss des BVerfG vom 6.11.2008 ist den "materiell Beteiligten" zwingend rechtliches Gehör zu gewähren und § 345 FamFG, der in dieser Beziehung zu kurz greift, verfassungskonform auszulegen.
Das BVerfG (a.a.O.):
Zitat
"Art. 103 Abs. 1 GG ist auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beachten (vgl. BVerfGE 19, 49, 51). Das gilt – unabhängig davon, ob die Anhörung im Gesetz vorgesehen ist – auch für Verfahren, die vom Untersuchungsgrundsatz (§ 12 FGG) [jetzt: § 26 FamFG] beherrscht werden (vgl. BVerfGE 75, 201, 215). Auf eine förmliche Beteiligtenstellung kommt es nicht an. Der Anspruch auf rechtliches Gehör steht vielmehr jedem zu, demgegenüber die gerichtliche Entscheidung materiellrechtlich wirkt und der deshalb von dem Verfahren rechtlich unmittelbar betroffen wird (vgl. BVerfGE 60, 7, 13; 75, 201, 215)."
Rz. 8
Der wesentlichste Unterschied zwischen einem Erbschein und einem Urteil im Feststellungsprozess besteht darin, dass ein Erbschein weder in formelle noch in materielle Rechtskraft erwachsen kann – im Gegensatz zum Feststellungsurteil.
Der Erbschein erzeugt eine Gutglaubens- und Rechtsscheinwirkung nach §§ 2365 ff. BGB, erwächst aber nicht in Rechtskraft; er wirkt inter omnes. Das Urteil hingegen erwächst in formelle und materielle Rechtskraft, wirkt aber nur inter partes. Ein Erbenfeststellungsurteil erzeugt keine Rechtsscheinwirkung. Deshalb kann es auch nicht Grundlage einer Grundbuch- oder Handelsregisterberichtigung sein.
Rz. 9
Für das Erbscheinsverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 2...