Rz. 557
Mit seiner in NJW 1986, 1812 veröffentlichten Entscheidung hat der BGH die Möglichkeit einer vergleichsweisen Einigung auch über die Erbenstellung anerkannt, wenn die Auslegung streitig ist. Der Auslegungsvertrag – gerichtlich oder außergerichtlich geschlossen – hat zwar nur schuldrechtliche Wirkung (§ 311 BGB bzw. §§ 305, 2371, 2385 BGB), aber die Beteiligten haben sich so zu stellen, als entspräche ihre Einigung der wirklichen Rechtslage, selbst wenn diese sich nachträglich als unzutreffend herausstellen sollte. Der Auslegungsvertrag ist ein verfahrensrechtliches pactum de non petendo. So sollen sich die einzelnen Beteiligten nach Abschluss eines Auslegungsvertrags untereinander auf eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) berufen können, falls einer der Vereinbarung widersprechende Ansprüche geltend macht. Um eine solche Einigung herbeizuführen, bedarf es der Mitwirkung aller, deren materielle Rechtsposition betroffen ist – vergleichbar dem Kreis der "materiell Beteiligten" im FG-Verfahren: Materiell Beteiligter ist jeder, dessen materielle Rechtsposition durch die begehrte (FG- oder Streit-)Entscheidung betroffen werden kann. Haben sich die Beteiligten auf eine bestimmte Auslegung eines Testaments geeinigt, so darf ein dieser Auslegung widersprechender Erbschein nicht erteilt werden.
Es ist streitig, inwieweit ein Prozessgericht oder auch ein FG-Gericht an einen von allen Beteiligten geschlossenen Auslegungsvertrag gebunden ist. Rechtsprechung und Literatur sprechen sich gegen die Bindungswirkung eines Auslegungsvertrags auf die richterliche Entscheidung über einen Erbscheinsantrag und auch über eine Erbenfeststellungsklage aus, unabhängig davon, ob der Auslegungsvertrag privatschriftlich oder notariell abgeschlossen wurde. Einzelne Stimmen in der Literatur sind jedoch der Meinung, dass ein Auslegungsvertrag dann für das Gericht verbindlich ist, wenn alle Beteiligten dem zugestimmt haben und sich die im Vertrag festgelegte Auslegung innerhalb des auch nach Ansicht des Gerichts möglichen Auslegungsspielraums bewegt.
Rz. 558
Der Auslegungsvertrag fällt unter § 2385 BGB (sog. "anderer Erbschaftsveräußerungsvertrag") und bedarf deshalb der notariellen Beurkundung (§§ 2033, 2371 BGB) oder des die notarielle Beurkundungsform ersetzenden gerichtlichen Vergleichs (§ 127a BGB). Die Einigung kann sich auf alle erbrechtlichen Positionen beziehen, wie Erbenstellung, Vermächtnisansprüche einschließlich deren Kürzung, Pflichtteilsrechte, Pflichtteilstragungslast u.Ä. Der Vergleich kann auch vor dem Nachlassgericht im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens geschlossen werden, selbst wenn der Rechtspfleger für das betreffende Verfahren zuständig sein sollte, und auch vor dem Schiedsgericht als Schiedsvergleich.
Nach § 36 FamFG ist eine Vergleichsmöglichkeit ausdrücklich kodifiziert. Die Beteiligten können einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand des Verfahrens verfügen können. Das Gericht soll außer in Gewaltschutzsachen auf eine gütliche Einigung der Beteiligten hinwirken.
Im Steuerrecht kann eine unwirksame Verfügung von Todes wegen ausnahmsweise anerkannt werden, wenn und soweit sie von den Beteiligten tatsächlich befolgt wird und ein entsprechender Erblasserwille als hinreichend sicher und ernsthaft festgestellt werden kann. Selbst der Testamentsauslegungsvertrag kann im Steuerrecht anerkannt werden.