1. Allgemeines
Rz. 27
Von der Testierfähigkeit zu unterscheiden ist die Testierfreiheit des Erblassers. Diese kann z.B. dann eingeschränkt sein, wenn sich der Erblasser bereits in einem Erbvertrag oder in einem gemeinschaftlichen wechselbezüglichen Testament gebunden hat. Bei Vorliegen einer solchen bindenden Verfügung von Todes wegen sind alle späteren Verfügungen unwirksam, wenn sie der früheren widersprechen. Beim Erbvertrag regelt dies § 2289 Abs. 1 BGB, beim gemeinschaftlichen wechselbezüglichen Testament §§ 2270, 2271 Abs. 2 BGB i.V.m. einer analogen Anwendung von § 2289 BGB. Für die eingetragene Lebenspartnerschaft gilt das Recht des gemeinschaftlichen Testaments entsprechend, § 10 LPartG. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017 zum 1.10.2017 sind gleichgeschlechtliche Partner Eheleuten gleichgestellt.
Hinweis
Bezüglich des Zeitpunkts des Eintritts der Bindung von Todes wegen besteht ein elementarer Unterschied zwischen einem wechselbezüglichen gemeinschaftlichen Testament einerseits und einem Erbvertrag andererseits: Solange beide Eheleute leben, kann ein wechselbezügliches gemeinschaftliches Testament nicht bindend sein; dies ergibt sich aus dem einseitigen Widerrufsrecht des § 2271 Abs. 1 BGB; eine anderslautende Regelung wäre gem. § 2302 BGB nichtig. Anders beim Erbvertrag: Hier tritt mit Abschluss des Beurkundungsvorganges nach dem Grundsatz "pacta sunt servanda" sofort eine Bindung ein, und zwar beim zweiseitigen Erbvertrag für jeden Erblasser.
2. Testierfreiheit im Einzelnen
Rz. 28
Hat der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen hinterlassen, so ist zunächst zu klären, ob er insoweit noch frei war in seiner Testiermöglichkeit oder ob dem ein Erbvertrag oder ein gemeinschaftliches Testament, das er mit seinem vorverstorbenen Ehegatten/eingetragenem Lebenspartner errichtet hatte, entgegenstand. Leben noch beide Ehegatten/eingetragene Lebenspartner, so könnte, falls in einem gemeinschaftlichen Testament wechselbezügliche Verfügungen getroffen wurden, einer der Ehegatten/Lebenspartner kein anders lautendes einseitiges Testament errichten, er könnte lediglich durch notariellen einseitigen Widerruf davon loskommen, §§ 2271 Abs. 1, 2296 BGB.
a) Bindung beim gemeinschaftlichen Testament
aa) Testierfreiheit zu Lebzeiten beider Ehegatten/Lebenspartner
Rz. 29
Ein Ehegattentestament oder ein gemeinschaftliches Testament eingetragener Lebenspartner (§ 10 LPartG) ist hinsichtlich seiner wechselbezüglichen Verfügungen ab dem Tod des Erststerbenden bindend, § 2271 Abs. 2 BGB, § 10 LPartG. Von Wechselbezüglichkeit spricht man, wenn die Verfügung des einen Ehegatten/Lebenspartners nicht ohne die des anderen getroffen worden wäre. Anders gesagt: Der eine Ehegatte/Lebenspartner hat seine Verfügung nur im Hinblick auf die Verfügung des anderen so getroffen. Voraussetzung ist also eine gegenseitige innere Abhängigkeit beider Verfügungen voneinander. Beide Verfügungen "stehen und fallen miteinander". Wechselbezüglich können nach § 2270 Abs. 3 BGB jedoch nur
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die Erbeinsetzung, |
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das Vermächtnis, |
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die Auflage oder |
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die Rechtswahl |
sein. (Parallelvorschrift zum Erbvertrag: § 2278 Abs. 2 BGB).
Beachte
Nicht das Negativum der Enterbung, sondern nur die positive Erbeinsetzung.
Rz. 30
Verfügungen, die im Wechselbezug stehen, müssen nicht zwingend zeitgleich in einer einheitlichen Urkunde getroffen werden. Sie können auch nacheinander in getrennten Urkunden niedergelegt werden. Allerdings muss in diesem Fall ein entsprechender Verknüpfungswille feststellbar sein, der sich aus den Urkunden zumindest andeutungsweise ergeben muss. Auch ein langer Zeitraum von fast 40 Jahren, der zwischen den beiden Testamenten liegt, spricht nach den Gesamtumständen nicht entscheidend gegen die Annahme eines Verknüpfungswillens der Eheleute. Anhaltspunkte für eine nachträgliche Verknüpfung können sich etwa auch aus einer inhaltlichen Bezugnahme und einer gemeinsamen Verwahrung der Testamente ergeben.
bb) Bindung nach dem Tod eines Ehegatten/Lebenspartners
Rz. 31
Ob testamentarische Verfügungen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander stehen, entscheiden die Ehegatten/Lebenspartner selbst. Es kommt insofern also auf den Erblasserwillen an. Wechselbezüglichkeit ist für jede einzelne testamentarische Verfügung gesondert zu prüfen. Sie kann nicht angeordnet werden für Teilungsanordnung, Testamentsvollstreckungsanordnung, familienrechtliche Anordnungen. Es unterliegt dem – erforderlichenfalls durch Auslegung zu ermittelnden – Willen der Erblasser, ob und in welchem Umfang jede einzelne Verfügung wechselbezüglich sein soll. Deshalb sollte jedes gemeinschaftliche Testament dazu Aussagen enthalten. Fehlen entsprechende eindeutige Aussagen im Testament, so wird in § 2270 Abs. 2 BGB Wechselbezüglichkeit vermutet, wenn sich die Ehegatten/Lebenspartner gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten/Lebenspartner eine Zuwendung gemacht ...