Rz. 7
Zunächst ist ein elementarer Unterschied zwischen Zivilprozess einerseits und Erbscheinsverfahren andererseits festzustellen: Die Parteien des Zivilprozesses sind der Kläger und der Beklagte (formeller Parteibegriff). Die Beteiligten des Erbscheinsverfahrens nennt das FamFG und unterscheidet zwischen "Muss-Beteiligten" und "Kann-Beteiligten" unter Aufgabe der bisherigen Begriffe des "formell Beteiligten" und des "materiell Beteiligten". Nach §§ 7 und 345 Abs. 1 S. 1 FamFG ist nur der Antragsteller zwingend Beteiligter ("Muss-Beteiligter"). Die gesetzlichen Erben bei testamentarischer Erbfolge oder die in anderen Testamenten des Erblassers bedachten Personen müssen nach § 345 Abs. 1 S. 3 FamFG nur beteiligt werden, wenn sie dies beantragen.
Diese Regelung greift m.E. vor dem zwingenden Erfordernis der Gewährung rechtlichen Gehörs gem. § 103 Abs. 1 GG zu kurz.
Entsprechend dem Beschluss des BVerfG vom 6.11.2008 ist den "materiell Beteiligten" zwingend rechtliches Gehör zu gewähren und § 345 FamFG, der in dieser Beziehung zu kurz greift, verfassungskonform auszulegen.
Das BVerfG (a.a.O.):
Zitat
"Art. 103 Abs. 1 GG ist auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beachten (vgl. BVerfGE 19, 49, 51). Das gilt – unabhängig davon, ob die Anhörung im Gesetz vorgesehen ist – auch für Verfahren, die vom Untersuchungsgrundsatz (§ 12 FGG) [jetzt: § 26 FamFG] beherrscht werden (vgl. BVerfGE 75, 201, 215). Auf eine förmliche Beteiligtenstellung kommt es nicht an. Der Anspruch auf rechtliches Gehör steht vielmehr jedem zu, demgegenüber die gerichtliche Entscheidung materiellrechtlich wirkt und der deshalb von dem Verfahren rechtlich unmittelbar betroffen wird (vgl. BVerfGE 60, 7, 13; 75, 201, 215)."
Rz. 8
Der wesentlichste Unterschied zwischen einem Erbschein und einem Urteil im Feststellungsprozess besteht darin, dass ein Erbschein weder in formelle noch in materielle Rechtskraft erwachsen kann – im Gegensatz zum Feststellungsurteil.
Der Erbschein erzeugt eine Gutglaubens- und Rechtsscheinwirkung nach §§ 2365 ff. BGB, erwächst aber nicht in Rechtskraft; er wirkt inter omnes. Das Urteil hingegen erwächst in formelle und materielle Rechtskraft, wirkt aber nur inter partes. Ein Erbenfeststellungsurteil erzeugt keine Rechtsscheinwirkung. Deshalb kann es auch nicht Grundlage einer Grundbuch- oder Handelsregisterberichtigung sein.
Rz. 9
Für das Erbscheinsverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 26 FamFG, während für den Feststellungsprozess der Beibringungsgrundsatz gilt.
§ 30 FamFG enthält Vorschriften über eine förmliche Beweisaufnahme in Form des Strengbeweises. Zunächst kann allerdings das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob es die entscheidungserheblichen Tatsachen durch eine förmliche Beweisaufnahme entsprechend der ZPO feststellt. Gemäß § 30 Abs. 2 FamFG hat eine förmliche Beweisaufnahme stattzufinden, wenn es in diesem Gesetz vorgesehen ist.
Im Erbscheinsverfahren hat das Nachlassgericht Zweifel, die auf konkreten Umständen und dargelegten Auffälligkeiten beruhen, ohne Bindung an den Vortrag der Beteiligten von Amts wegen zu prüfen (§ 26 FamFG). Für die Durchführung von Ermittlungen durch das Gericht, insbesondere durch eine Beweisaufnahme, ist dabei nicht zu verlangen, dass die Beteiligten entsprechend der für den Zivilprozess geltenden Grundsätze Beweis antreten müssen; vielmehr genügt es, dass der Vortrag und die Bezeichnung geeigneter Beweismittel durch die Beteiligten dem Gericht Anhaltspunkte dafür geben, in welche Richtungen es seine Ermittlungen durchführen kann. Die richterliche Aufklärungspflicht ist dabei dann verletzt, wenn Ermittlungen und Aufklärungen, zu denen nach dem Sachverhalt als solchem und dem Vorbringen der Beteiligten Anlass bestand, nicht durchgeführt worden sind. Dabei sind die Ermittlungen und Aufklärungen erst dann abzuschließen, wenn von weiteren Maßnahmen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist. Außerdem sind bei der Ermittlung der Testierfähigkeit im Hinblick auf deren Tragweite besonders sorgfältige Untersuchungen geboten, die unter anderem eine Einbeziehung der Vorgeschichte und aller äußeren Umstände voraussetzt.