aa) Auslegungsregel des § 2269 BGB
Rz. 68
Der Auslegungsregel des § 2269 BGB liegt der in der Praxis häufig vorkommende Sachverhalt zugrunde, dass Ehegatten den Überlebenden von ihnen vermögensmäßig absichern und erst nach dessen Tod ihr gemeinsames Vermögen den gemeinschaftlichen Kindern zukommen lassen wollen. Rechtstechnisch wäre dieses Ergebnis
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entweder durch die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft (= Trennungslösung: Erbschaft und Eigenvermögen bleiben getrennte Vermögensmassen) |
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oder durch die vom Gesetz gewählte Möglichkeit gegenseitiger Alleinerbeinsetzung mit Schlusserbeinsetzung (= Einheitslösung: die Vermögen beider Ehegatten vereinigen sich beim Überlebenden) |
zu erreichen. Die gesetzliche Auslegungsregel entscheidet sich zugunsten der Vollerbschaft des Überlebenden.
Rz. 69
Ein Anhaltspunkt für den Willen der Testierenden, nach dem Tod des Erststerbenden das beiderseitige Vermögen als einheitliche Vermögensmasse zu behandeln, kann das Abstellen auf das "gemeinsam Erarbeitete" sein.
Dazu folgende Beispiele aus der Rechtsprechung
Zitat
1. Setzen sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Erben ein und bestimmen zugleich, dass Nacherben nach dem Tod des Letztversterbenden ihre Kinder sein sollen, ist von der Anordnung einer Voll- und Schlusserbfolge auszugehen, wenn die Ehegatten das beiderseitige Vermögen als eine Einheit ansehen und ausschließen wollen, dass bezüglich ihrer jeweiligen Vermögen eine unterschiedliche Rechtsstellung des Überlebenden und bei dessen Tod die Möglichkeit einer erneuten Trennung beider Vermögensmassen entsteht.
2. Gemäß § 2091 BGB sind mehrere Erben zu gleichen Teilen eingesetzt, wenn ihre Erbteile nicht bestimmt sind und sich aus §§ 2066 bis 2069 BGB nicht ein anderes ergibt. § 2091 BGB ist jedoch erst dann maßgeblich, wenn andere Auslegungswege nicht zu einem klaren Ergebnis führen.
Zitat
"Die wechselseitige Einsetzung von Eheleuten als Vorerben und der jeweils eigenen Abkömmlinge bzw. eines Adoptivkindes als Nacherben ist regelmäßig bereits im Wege der Auslegung als Einsetzung der Nacherben zu Schlusserben des Längstlebenden zu verstehen. Diese Erbeinsetzung des eigenen Adoptivkindes als Schlusserben des Längstlebenden ist gemäß der in § 2271 Abs. 2 Satz 2 BGB enthaltenen Auslegungsregel als wechselbezüglich zu der Einsetzung des Ehegatten als Vorerben anzusehen, auch wenn das Adoptivkind des einen zugleich das leibliche Kind des anderen Ehegatten ist."
bb) Berliner Testament und ausgleichungspflichtige Vorempfänge – "erweiterter Erblasserbegriff"
Rz. 70
Haben gemeinschaftliche Abkömmlinge von ihren beiden Eltern ausgleichungspflichtige Zuwendungen erhalten und werden sie bei Vorhandensein eines Berliner Testaments (§ 2269 BGB) Schlusserben des überlebenden Elternteils, so sind auch die ausgleichungspflichtigen Zuwendungen des Erststerbenden auf den Tod des Überlebenden auszugleichen.
Dazu der BGH in BGHZ 88, 102, 108/109:
Zitat
"… Zuzugeben ist (...) allerdings, dass bei der Auseinandersetzung unter Miterben im Falle eines Berliner Testaments Zuwendungen des vorverstorbenen Ehegatten berücksichtigt worden sind. Das Reichsgericht hat diese Frage schon 1914 für einen Fall der Gütergemeinschaft bejaht (…) und dabei auf die Einheitlichkeit des Vermögens der Ehegatten abgestellt. Ganz allgemein hat es unter Bezugnahme auf diese Entscheidung später die Frage dahin beantwortet, dass im Falle eines gemeinschaftlichen Testamentes als Erblasser im Sinne des § 2052 BGB (…) auch der zuerst verstorbene Ehegatte gelte (…). Hiergegen hat sich im Schrifttum Widerspruch nicht erhoben …"
Aber: Dieser erweiterte Erblasserbegriff gilt nur bei der Erbteilung, nicht auch im Pflichtteilsrecht, weil andernfalls die Erblasser in das Pflichtteilsrecht eingreifen könnten.
cc) Trennungslösung (Vor- und Nacherbschaft)
Rz. 71
Die Begriffe "Vorerbe" und "Nacherbe" in einem privatschriftlichen Testament lassen u.U. trotzdem eine Auslegung für Vollerbschaft und Schlusserbenstellung zu.
Setzen sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Erben ein und bestimmen zugleich, dass Nacherben nach dem Tod des Letztversterbenden ihre Kinder sein sollen, ist von der Anordnung einer Voll- und Schlusserbfolge auszugehen, wenn die Ehegatten das beiderseitige Vermögen als eine Einheit ansehen und ausschließen wollen, dass bezüglich ihrer jeweiligen Vermögen eine unterschiedliche Rechtsstellung des Überlebenden und bei dessen Tod die Möglichkeit einer erneuten Trennung beider Vermögensmassen entsteht.
Die Verfügungen können untereinander wechselbezüglich sein, müssen es aber nicht.
Bei der Trennungslösung sind die Abkömmlinge – meistens die Kinder – zu Nacherben e...