1. Allgemeines
Rz. 287
Die Testierfreiheit in Konsequenz angewandt, beinhaltet das Recht des Erblassers, ein einseitiges Testament oder einzelne Anordnungen darin jederzeit – bis zu seinem Tod – zu widerrufen oder zu ändern, § 2253 BGB. Eine Verpflichtung, testamentarische Anordnungen nicht zu widerrufen, wäre nichtig, § 2302 BGB, im Sinne eines gesetzlichen Verbots nach § 134 BGB.
Rz. 288
Das Gesetz kennt verschiedene Formen des Widerrufs:
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Widerrufstestament (§ 2254 BGB) – mit der Möglichkeit des Widerrufs des Widerrufstestaments (§ 2257 BGB) |
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Veränderung oder Vernichtung des vorhandenen Testaments (§ 2255 BGB) |
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Rücknahme eines notariellen Testaments aus der amtlichen Verwahrung (§ 2256 BGB) |
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konkludenter Widerruf durch inhaltlich widersprechendes Testament (§ 2258 BGB). |
Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen ist es von entscheidender Bedeutung, die einzelnen Widerrufsarten voneinander abzugrenzen.
2. Widerrufstestament, § 2254 BGB
Rz. 289
Das Widerrufstestament unterliegt den allgemeinen Formerfordernissen eines Testaments, es bedarf aber nicht derselben Form wie das widerrufene Testament. Ein notariell beurkundetes Testament kann durch ein privatschriftliches, ein privatschriftliches durch ein notarielles widerrufen werden. Der Widerrufswillen ist erforderlichenfalls durch Auslegung zu ermitteln.
3. Veränderungen oder Vernichtung, § 2255 BGB
Rz. 290
Vernichtet der Erblasser die Testamentsurkunde mit Widerrufswillen, so liegt darin ein wirksamer Widerruf (bspw.: Zerreißen, Verbrennen).
Rz. 291
Hatte der Erblasser die Urkunde bis zuletzt in Gewahrsam, so spricht der erste Anschein dafür, dass er selbst gehandelt hat. Wird ein Testament durch einen Dritten ohne Auftrag des Erblassers oder durch den Erblasser versehentlich vernichtet, so bleibt es wirksam, denn es fehlt der Widerrufswille. Für den Inhalt trägt derjenige die Beweislast, der Rechte daraus herleitet.
Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen in einem Ehegattentestament durch Vernichtung der Urkunde setzt voraus, dass beide Ehegatten mit Testier- und Widerrufswillen an der Vernichtung der Urkunde mitgewirkt haben. An den diesbezüglichen Nachweis sind hohe Anforderungen zu stellen. Er setzt insbesondere voraus, dass die Möglichkeit, dass ein Ehegatte die Urkunde ohne Kenntnis und Mitwirkung des anderen vernichtet hat, ausgeschlossen werden kann.
Die Widerrufshandlung kann, da sie willensgetragen sein muss, nach den Grundsätzen der §§ 2078 ff. BGB angefochten werden.
Rz. 292
Beispiel
E hat ein privatschriftliches Testament errichtet und bewahrt es in seiner Schreibtischschublade im Wohnzimmer auf. Bei einem Zimmerbrand wird der Schreibtisch samt Inhalt vollständig zerstört. Das Testament ist damit nicht widerrufen.
Rz. 293
Ein mittels Durchstreichens widerrufenes Testament kann jedoch zur Auslegung eines späteren, unvollständig gebliebenen Testaments herangezogen werden, wenn der Erblasser dieses Testament gemeinsam mit dem widerrufenen Testament in einem Umschlag verschlossen und aufbewahrt hat.
Rz. 294
Voraussetzung für jeden Widerruf ist ein Widerrufswillen. Dieser liegt hier nicht vor. Deshalb ist das Testament, obwohl es körperlich nicht mehr existiert, nach wie vor inhaltlich vorhanden und würde nach dem Tod von E auch gelten. Die formwirksame Errichtung und sein Inhalt müssten durch allgemeine Beweismittel (bspw. durch Zeugen oder die Vorlage einer Abschrift) bewiesen werden.
Rz. 295
Es gibt keine Vermutung für die Vernichtung eines Testaments durch den Erblasser bei Nichtauffindbarkeit des Testaments. Die bloße Tatsache der Unauffindbarkeit der Urkunde begründet keine tatsächliche Vermutung oder einen Erfahrungssatz, dass das Testament durch den Erblasser vernichtet worden ist. Es müssen Indizien vorliegen, beispielsweise der Nachweis einer Willensänderung des Erblassers, um im Zusammenhang mit der Nichtauffindbarkeit des Testaments den Beweis der Vernichtung i.S.d. § 2255 BGB zu erbringen.
4. Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung, § 2256 BGB
Rz. 296
Der Erblasser kann das Testament wieder aus der Verwahrung nehmen. Beim privatschriftlichen Testament hat die Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung aber keine Widerrufswirkung – im Gegensatz zum beurkundeten Testament, § 2256 BGB.
Rz. 297
Die Rücknahme eines notariellen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung durch den Betreuer ist nicht zulässig. Die Geschäftsfähigkeit wird durch die Bestellung eines Betreuers nicht berührt, und der Testamentswiderruf ist nur durch den Erblasser höchstpersönlich möglich, § 2064 BGB. Die Rücknahme eines Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung hat Testaments-(Widerrufs-)Charakter.
Dazu der BGH in BGHZ 23, 207, 211:
Zitat
"… Die Auffassung der Revision … ist richtig, dass die Zurücknahme des Testaments...