Rz. 460
Haben Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner nach § 2265 BGB bzw. § 10 LPartG ein gemeinschaftliches wechselbezügliches Testament errichtet und ist durch den Tod des Erststerbenden von ihnen eine Bindung für den Überlebenden eingetreten, so führt die sich aus der Wechselbezüglichkeit der Verfügungen ergebende Bindungswirkung dazu, dass der überlebende Ehegatte bzw. Lebenspartner mit dem Tod des anderen das Recht auf Widerruf seiner wechselbezüglichen Verfügung verliert, § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Umfang und Wirkung der Bindung ergeben sich durch analoge Anwendung von § 2289 BGB. Nach § 2289 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB ist eine nachfolgende Verfügung von Todes wegen nur unwirksam, soweit sie das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigen würde.
Rz. 461
Übertragen auf das gemeinschaftliche Testament bedeutet dies für eine neue testamentarische Verfügung des durch wechselbezügliche Verfügung in seiner Testierfreiheit beschränkten Ehegatten oder Lebenspartners, dass diese nur unwirksam ist, soweit sie das Recht des Bedachten beeinträchtigen würde. Eine Beeinträchtigung liegt jedoch nicht vor, wenn die vorrangige wechselbezügliche Verfügung gegenstandslos ist bzw. wird.
Rz. 462
Ein nach § 2352 BGB mit dem Überlebenden vereinbarter Zuwendungsverzicht des Schlusserben beseitigt dessen Erbenstellung. Insoweit wird der Überlebende wieder von der eingetretenen Bindung frei. Ein solcher Zuwendungsverzicht erstreckte sich bislang – im Gegensatz zu einem Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht nach § 2346 BGB – nicht auf die Abkömmlinge des Verzichtenden.
Rz. 463
In der Praxis kann aber der Erblasser bei Erbeinsetzungen oder Vermächtnissen, die in einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag bindend angeordnet wurden, das Bedürfnis haben, sich davon wieder zu lösen, weil er z.B. den Erben oder Vermächtnisnehmer bereits zu Lebzeiten durch eine Zuwendung abfinden will. Der Erblasser kann hier einen Zuwendungsverzicht mit dem Begünstigten vereinbaren. Dabei ist regelmäßig gewollt, dass sich dieser Zuwendungsverzicht auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt. Andernfalls kann dies zu ungerechten Ergebnissen führen, insbesondere wenn der Erbe für seinen Verzicht vollständig abgefunden wird und danach seine Abkömmlinge an seiner Stelle erben (Doppelbegünstigung des Stammes des Verzichtenden).
Rz. 464
Daher hatte die Rechtsprechung nach alter Rechtslage durch einen Rückgriff auf die allgemeinen Vermutungsregeln die Möglichkeit geschaffen, eine solche Doppelbegünstigung des Stammes zu vermeiden, indem der Zuwendungsverzicht unter bestimmten Voraussetzungen doch wieder auf Abkömmlinge erstreckt wird:
Rz. 465
Ist der Verzichtende für seinen Verzicht vollständig abgefunden worden und hat der Erblasser keinen Ersatzerben ausdrücklich eingesetzt, kämen also die Abkömmlinge des Verzichtenden aufgrund der Auslegungsregel des § 2069 BGB zum Zuge, so bestand nach Ansicht der Rechtsprechung unter der alten Rechtslage eine Vermutung dahingehend, dass die Abkömmlinge von der Erbfolge ausgeschlossen sein sollen.
Rz. 466
Dem praktischen Bedürfnis, den Zuwendungsverzicht auch auf die Abkömmlinge zu erstrecken, ist durch eine ausdrückliche Regelung im Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts entsprochen worden. Die Verweisung in § 2352 BGB wurde auf § 2349 BGB erweitert. Damit wird vermutet, dass sich ein Zuwendungsverzicht auf die Abkömmlinge erstreckt, unabhängig davon, ob der Verzichtende für seinen Verzicht abgefunden wird oder nicht. Will der Erblasser diese Folge ausschließen, muss er ausdrücklich bestimmen, dass diese vermutete Erstreckung nicht gilt.
Die Neuregelung gilt für alle Erbfälle, die seit dem 1.1.2010 eingetreten sind.
Ein Zuwendungsverzicht kann (ebenso wie der Erbverzicht) durch notariellen Vertrag mit dem Erblasser wieder aufgehoben werden, wenn der Erblasser den Rechtszustand vor dem Verzicht durch Verfügung von Todes wegen nicht vollständig wiederherstellen könnte.