I. Funktion
Rz. 1
Gemäß § 2353 BGB stellt der Erbschein ein Zeugnis des Nachlassgerichts dar, das bekundet, wer Erbe ist und welchen Verfügungsbeschränkungen dieser unterliegt. Der Erbschein bezeugt als amtliche Bescheinigung folgende Punkte:
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Person des Erblassers |
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Person des Erben (Name, Todestag und letzter Wohnsitz) |
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Umfang des Erbrechts zur Zeit des Erbfalls (Erbquote) |
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Nacherbschaft |
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Anordnung der Testamentsvollstreckung. |
Über den Umfang des Nachlasses, speziell zu der Frage, welche Gegenstände zur Erbmasse gehören, trifft der Erbschein keine Aussage. Auch schuldrechtliche Ansprüche, etwa aus Vermächtnissen oder Pflichtteilsrechten, sind nicht Inhalt des Erbscheins, da sie die Verfügungsmacht des Erben nicht berühren. In der Praxis benötigt man einen Erbschein vor allem zur Vorlage beim Grundbuchamt, § 35 GBO, oder bei Banken.
II. Wirkung
1. Vermutungswirkung
Rz. 2
Entsprechend einer Grundbucheintragung kommt auch dem erteilten Erbschein eine Vermutungswirkung nach § 2365 BGB zu: Es wird vermutet, dass demjenigen, welcher im Erbschein als Erbe bezeichnet ist, das in dem Erbschein angegebene Erbrecht zusteht und dass er nicht durch andere als die angegebenen Anordnungen beschränkt ist. Als Beschränkungen kommen in Betracht die Nacherbfolge, § 352b Abs. 1 FamFG, und die Testamentsvollstreckung, § 352b Abs. 2 FamFG. Sind derartige Beschränkungen im Erbschein nicht enthalten, wird negativ vermutet, dass sie nicht bestehen. Umstritten ist, ob der Erbschein bei aufgeführten Verfügungsbeschränkungen positiv deren Bestehen bezeugt. Die h.M. lehnt dies ab, da eine diesbezügliche positive Vermutung gesetzlich nicht vorgesehen ist. Auch Umstände, die nicht zwingend zum Inhalt des Erbscheins gehören, nehmen nicht an der Vermutungswirkung des § 2365 BGB teil, wie z.B. Vermächtnisse, Pflichtteilsansprüche etc. Auch der Berufungsgrund wird nicht von der Vermutungswirkung erfasst. Enthält der Erbschein, welcher die ausschließlich nach deutschem Recht zu beurteilende testamentarische Erbfolge richtig bezeugt, den Zusatz "des in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Vermögens", so handelt es sich nicht um eine erbrechtliche Beschränkung. Ein solcher Zusatz nimmt am öffentlichen Glauben nicht teil und ist unzulässig.
2. Öffentlicher Glaube
Rz. 3
Zugunsten des Rechtsverkehrs wird weiter eine Richtigkeitsfiktion aufgestellt, § 2366 BGB: Erwirbt jemand einen Erbschaftsgegenstand, so gilt zu seinen Gunsten der Inhalt des Erbscheins als richtig, soweit die Vermutung des § 2365 BGB reicht. Darüber hinaus genießen auch Zahlungen an den Erben oder sonstige Verfügungsgeschäfte, wie z.B. Aufrechnung, Bewilligung einer Vormerkung etc., den Verkehrsschutz des § 2367 BGB. Die Schutzwirkung gilt auch dann, wenn der Dritte keine Kenntnis von der Existenz des Erbscheins hatte. Dem Dritten braucht der Erbschein gar nicht vorgelegt zu werden. So wird z.B. eine Bank durch Zahlung an den "Erbscheinsbesitzer" auch dann frei, wenn dieser den Erbschein gar nicht vorgelegt hat.
Beachte
AGB-Banken Nr. 5 Verfügungsberechtigung nach dem Tod des Kunden
Nach dem Tod des Kunden kann die Bank zur Klärung der Verfügungsberechtigung die Vorlegung eines Erbscheins, eines Testamentsvollstreckerzeugnisses oder weiterer hierfür notwendiger Unterlagen verlangen; fremdsprachige Urkunden sind auf Verlangen der Bank in deutscher Übersetzung vorzulegen. Die Bank kann auf die Vorlage eines Erbscheins oder eines Testamentsvollstreckerzeugnisses verzichten, wenn ihr eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift der letztwilligen Verfügung (Testament, Erbvertrag) nebst zugehöriger Eröffnungsniederschrift vorgelegt wird. Die Bank darf denjenigen, der darin als Erbe oder als Testamentsvollstrecker bezeichnet ist, als Berechtigten ansehen, ihn verfügen lassen und insbesondere mit befreiender Wirkung an ihn leisten. Dies gilt nicht, wenn der Bank bekannt war, dass der dort Genannte (zum Beispiel nach Anfechtung oder wegen Nichtigkeit des Testaments) nicht verfügungsberechtigt war oder wenn ihr dies infolge Fahrlässigkeit nicht bekannt geworden ist.
OLG Hamm, Urt. v. 1.10.2012 – I-31 U 55/12, BeckRS 2012, 22064:
Zitat
Die AGB-Klauseln einer Sparkasse, wonach das Geldinstitut nach dem Tode des Kunden zur Klärung der rechtsgeschäftlichen Berechtigung die Vorlage eines Erbscheins, eines Testamentsvollstreckerzeugnisses oder ähnlicher gerichtlicher Zeugnisse verlangen und auf die Vorlage dieser Urkunden verzichten könne, wenn...