Prof. Dr. Thomas Reich, Prof. Dr. Ulrich Voß
Rz. 1
Das internationale Steuerrecht ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Zielvorstellungen der nationalen Gesetzgeber. Einzelne Länder erheben regelmäßig in unterschiedlichem Umfang Steuern zur Erzielung von Einnahmen. Das Recht, Steuern zu erheben, ist Ausfluss der staatlichen Souveränität, die allerdings im Völker- und Europarecht ihre Grenzen findet. Völkerrechtlich besteht der Grundsatz, dass für die Inanspruchnahme eines Besteuerungsrechts ein "genuine link" zum die Steuer erhebenden Staat vorliegen muss; die Anknüpfung folgt dabei dem sog. "Territorialprinzip", dem "Territorialitätsprizip" bzw. dem "Territorialgrundsatz". Es müssen somit persönliche oder sachliche Anknüpfungsmerkmale zum Gebiet des die Steuer erhebenden Staates bestehen. Diese können sich z.B. aus dem Wohnsitz, dem gewöhnlichem Aufenthalt, der Staatsangehörigkeit oder der Belegenheit des Vermögens ergeben. Bestehen derartige Anknüpfungsmerkmale, kann dieser Staat nach seinem gesetzgeberischen Ermessen in völkerrechtlich zulässiger Weise das Besteuerungsrecht auch für solche Sachverhalte ausüben, die auf dem Territorium eines anderen Staates verwirklicht worden sind. Nach Art. 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts in der Bundesrepublik unmittelbar anwendbar und gehen den nationalen deutschen Gesetzen vor.
Rz. 2
Nach Ansicht des BVerfG sind die Staatsangehörigkeit, die Niederlassung, die Wohnung oder der Aufenthalt, die Verwirklichung eines Abgabentatbestands im Inland, die Herbeiführung eines abgabenrechtlichen Erfolgs im Inland, die Belegenheit von Wirtschaftsgütern im Inland oder Zahlungen, deren Quelle sich im Inland befindet, zulässige Anknüpfungsmerkmale für eine Besteuerung. Es wäre daher beispielsweise völkerrechts- und damit auch verfassungswidrig, wenn ein Staat ohne jedes sachbezogene Anknüpfungsmerkmal einen Erbfall besteuern wollte, bei dem weder der Erblasser noch der Erwerber des Vermögens (z.B. durch Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Staatsangehörigkeit) noch das Vermögen selbst (z.B. durch seinen Lageort) einen Bezug zum steuererhebenden Staat aufweist.
Rz. 3
Ist eine Besteuerung völkerrechtlich und auch nach nationalem Verfassungsrecht möglich, stellt sich für den nationalen Gesetzgeber die Frage, ob ein bestehendes Besteuerungsrecht durch Schaffung eines entsprechenden Steuertatbestands ausgeübt werden sollte. Würde beispielsweise in Deutschland ein Erbschaftsteuertatbestand geschaffen, demgemäß ein Girokontoguthaben, das bei einer in Deutschland belegenen Bankfiliale unterhalten wird, in Deutschland der Erbschaftsteuer unterworfen wird, obwohl weder Erblasser noch Erwerber einen persönlichen Inlandsbezug haben, wäre wohl anzunehmen, dass dies kaum zu Steuermehreinnahmen führen würde, da eine Besteuerung in Deutschland durch Verlagerung der kontoführenden Filiale in das Ausland vermieden werden könnte. Der Nachteil des Kapitalabflusses dürfte daher überwiegen, da Steuereinnahmen nur von denjenigen zu erwarten wären, die sich um die Rechtslage nicht kümmern und das Guthaben nicht in ein anderes Land verlagern würden. Nachteile für den Kontoinhaber dürften sich nämlich in Zeiten des Internet-Banking aus einer Verlagerung nicht ergeben. Mag die Schaffung eines Besteuerungstatbestands somit zwar völker- und europarechtlich zulässig sein, wäre dies im Einzelfall trotzdem wenig sinnvoll. Dessen ungeachtet werden Bankguthaben bei in Spanien ansässigen Kreditinstituten im Rahmen der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht in Spanien als dortiges Inlandsvermögen besteuert. Unterliegt der Erwerb in Deutschland der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht, kommt es sogar zu einer Doppelbesteuerung, da Deutschland die in Spanien zu zahlende Erbschaftsteuer – die regelmäßig wesentlich höher als die deutsche ist – nicht, auch nicht teilweise, anrechnet. Die Nichtanrechnung der spanischen Erbschaftsteuer in Deutschland und die dadurch eintretende Doppelbesteuerung ist auch nicht EU-rechtswidrig, insbesondere liegt kein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit vor. Sogar innerhalb der EU kann es daher mangels Harmonisierung der Besteuerungsrechte zu einer Doppelbesteuerung kommen.