Prof. Dr. Thomas Reich, Prof. Dr. Ulrich Voß
Rz. 110
Bei der Berechnung der Bereicherung nach § 10 ErbStG sind von dem Bruttoerwerb die Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Im Rahmen der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht können nach dem bisherigen § 10 Abs. 6 ErbStG allerdings nur die Schulden abgezogen werden, die mit dem der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht unterliegenden Vermögen im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Vorrangig ist hier wohl an Schulden zu denken, die mit dem Erwerb der Einkunftsquelle im Zusammenhang stehen. Es ist umstritten, ob diese Beschränkung der Abzugsmöglichkeiten bei der beschränkten Steuerpflicht EU-rechtskonform ist. Der EuGH hat im Dezember 2021 jedenfalls die Nichtabzugsfähigkeit von Verbindlichkeiten aus Pflichtteilen im Falle der beschränkten Steuerpflicht gemäß § 10 Abs. 6 ErbStG als unionsrechtswidrig beurteilt. Nach dem Jahressteuergesetz 2024 soll durch Änderungen von § 10 Abs. 6 und Abs. 6b ErbStG eine anteilige Abzugsfähigkeit von Nachlassverbindlichkeiten auch in den Fällen der beschränkten Steuerpflicht möglich sein. Maßgeblich für die Abzugsfähigkeit soll der Anteil sein, mit dem der Vermögensanfall der deutschen Erbschaftsteuer unterliegt.
Rz. 111
Das Abzugsverbot muss im Einzelfall in die Nachfolgeplanung einbezogen werden. Es kann nämlich ansonsten in Fällen, in denen der Nachlass sogar überschuldet ist, trotzdem zu einer Steuerbelastung führen, wenn dem im Rahmen der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht steuerpflichtigen Vermögen wirtschaftlich keine Schulden zugeordnet werden können. In der Literatur wird daher die Ansicht vertreten, dass in derartigen Fällen zumindest eine Option zur unbeschränkten Steuerpflicht zugestanden werden müsse. Ob eine solche Optionsmöglichkeit, die dann allerdings ohnehin nur für Beteiligte aus der EU oder dem EWR in Betracht kommen dürfte, empfehlenswert wäre, bedürfte dann zusätzlich einer genauen Prüfung der dadurch eintretenden Belastungen, da eine solche Option regelmäßig dazu führen dürfte, dass der Erbfall in mindestens zwei Staaten der unbeschränkten Erbschaftsteuer unterläge und eine Doppelbesteuerung durch nationale Regelungen oft nur unvollständig vermieden würde.
Rz. 112
Soweit im Ausland dem deutschen Recht vergleichbare Abzugsverbote gelten, sollte darauf geachtet werden, dass im Ausland belegenes Vermögen, das nur der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht unterliegt, regelmäßig fremdfinanziert sein sollte, um den positiven Wert mit Schulden verrechnen und damit am Belegenheitsort jegliche Steuer vermeiden zu können.
Beispiel:
Erblasser E hat im Ausland ein Ferienhaus mit einem gemeinen Wert von 300.000 EUR und im Übrigen in Deutschland Vermögen mit einem Wert von 1,2 Mio. EUR. Weiterhin hat er in Deutschland Schulden in Höhe von 1 Mio. EUR.
Im Ergebnis erwirbt die als Alleinerbin eingesetzte Ehefrau F nur einen Wert von 500.000 EUR. Dieser Wert entspricht dem allgemeinen Ehegattenfreibetrag von 500.000 EUR, so dass F im Inland keine Erbschaftsteuer zahlen muss. Dem im Ausland belegenen Ferienhaus können aber dort keine Schulden zugeordnet werden, so dass im Ausland 300.000 EUR in voller Höhe der dortigen (beschränkten) Besteuerung unterworfen sein können, soweit auch dort ein Abzugsverbot für solche Schulden besteht, die mit den beschränkt steuerpflichtigen Vermögensteilen nicht in Zusammenhang stehen.
Rz. 113
Es ist zu beachten, dass in einigen Ländern bei beschränkt Steuerpflichtigen jeglicher Schuldenabzug verweigert wird und damit eine Bruttobesteuerung erfolgt. Für EU-Mitgliedstaaten hat der EuGH eine derartige Regelung in Belgien für unionsrechtswidrig erklärt hat. In der Rechtssache "Barbier" hat der EuGH ferner entschieden, dass Einschränkungen des Schuldenabzugs für beschränkt Steuerpflichtige im Rahmen der niederländischen Vermögensübertragungssteuer eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der europäischen Kapitalverkehrsfreiheit seien, da für unbeschränkt steuerpflichtige Personen in den Niederlanden ein unbegrenzter Schuldenabzug zur Anwendung komme. Gerade für Drittstaaten könnte über die Begründung der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht oder die Einbringung des Vermögens und der Schulden in eine Gesellschaft nachgedacht werden – soweit im Ausland eine Saldierung des Gesellschaftsvermögens erfolgt; zumindest bei einer Kapitalgesellschaft dürfte dies wohl meist der Fall sein. Andernfalls könnte auch über die Einbringung des Vermögens in eine deutsche Kapitalgesellschaft nachgedacht werden, um möglicherweise bereits dem Grunde nach einen Anknüpfungspunkt für eine Besteuerung im Ausland zu vermeiden. Im Einzelfall könnte auch überlegt werden, im Ausland belegenes, dort nur der beschränkten Steuerpflicht unterliegendes Vermögen vor dem Erbfall an den potentiellen Erben zu verkaufen. Ist nach dem Erbfall der Kaufpreis noch im Nachlass vorhanden, steht der Erbe wirtschaftlich so, als habe er die Immobilie geerbt, ohne dass im Ausland eine Erbschaftsteuer aufgrund der Belegenheit der Immobilie erhoben werden könnte. Bei den vorst...