Prof. Dr. Thomas Reich, Prof. Dr. Ulrich Voß
I. Nationales Steuerrecht als Rechtsgrundlage
Rz. 38
Unter dem Begriff des internationalen Steuerrechts ist das nationale (deutsche) Steuerrecht zu verstehen, das sich mit der Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte befasst. Der Teil des deutschen Erbschaftsteuerrechts, der sich mit Erbfällen mit Auslandsberührung beschäftigt, ist daher das deutsche internationale Erbschaftsteuerrecht. Zwischenstaatliches Recht gibt es neben den kollidierenden nationalen Rechtsordnungen nur, soweit zwischen den beteiligten Staaten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abgeschlossen worden sind. Das EU-Recht selbst normiert keine erbschaftsteuerrechtlichen Vorschriften. Die allgemeinen in den EU-Verträgen vereinbarten Regelungen und Grundsätze (wie z.B. Freizügigkeit oder Kapitalverkehrsfreiheit) können allerdings dazu führen, dass einzelne nationale Regelungen als EU-rechtswidrig beurteilt und nicht (mehr) angewandt werden dürfen (vgl. oben Rdn 6).
Rz. 39
Doppelbesteuerungsabkommen sind völkerrechtliche Verträge, die allerdings erst durch das nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG notwendige Zustimmungsgesetz wirksam werden. Der Rang des Doppelbesteuerungsabkommens entspricht daher dem Rang des Zustimmungsgesetzes. Ein Doppelbesteuerungsabkommen ist daher keine völkerrechtliche Regelung, die dem Bundesrecht nach Art. 25 GG vorgeht. Ein Vorrang des DBA ergibt sich auch nicht aus § 2 AO. Nach dieser Vorschrift sollen zwar völkerrechtliche Verträge, die durch Zustimmungsgesetz in das nationale Recht umgesetzt worden sind, Vorrang haben. Die Abgabenordnung kann aber als einfaches Bundesrecht nicht eine Rangfolge für andere Bundesgesetze vorsehen, dafür müsste die Abgabenordnung selbst einen höheren Rang haben als die Norm, deren Rangverhältnis sie anordnen will. Steht ein DBA in Widerspruch zu anderen steuergesetzlichen Vorschriften, ist der Konflikt somit nach allgemeinen Vorschriften zu lösen. Das DBA als spezielleres Gesetz dürfte regelmäßig Vorrang haben. Wird nachträglich ein den Regelungen des DBA widersprechendes Gesetz erlassen, verdrängt allerdings das spätere Gesetz das früher abgeschlossene DBA. Dieser Vorgang, der als "treaty overriding" bezeichnet wird, stellt zwar einen Vertragsbruch dar, der Steuerpflichtige kann aus dem DBA selbst aber keine Ansprüche herleiten, da dieses nur zwischenstaatliche Wirkungen hat, selbst aber kein Vertrag zugunsten Dritter ist.
Rz. 40
Während Deutschland auf dem Gebiet des Ertragsteuerrechts mit sämtlichen "wichtigen" Ländern Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen abgeschlossen hat, bestehen auf dem Gebiet der Erbschaft- und Schenkungsteuer nur sechs Abkommen – nämlich mit Dänemark, Frankreich, Griechenland, Schweden, Schweiz und den USA. Das früher mit Österreich bestehende Abkommen wurde von deutscher Seite gekündigt. Nachdem die Erbschaftsteuer in Österreich für verfassungswidrig erklärt wurde und keine Neuregelung zustande kam, drohte keine Doppelbesteuerung mehr. Mit Schweden besteht das Erbschaftsteuer-DBA fort, obwohl dort seit dem 1.1.2005 keine Erbschaftsteuer mehr erhoben wird. Einer Kündigung steht allerdings entgegen, dass dieses DBA auch die Einkommensteuer umfasst und eine Teilkündigung nicht zulässig ist. Der sachliche Anwendungsbereich der einzelnen Doppelbesteuerungsabkommen ist unterschiedlich. Alle DBA regeln Erwerbe von Todes wegen. Auf Schenkungen unter Lebenden sind diese aber nur teilweise anwendbar. So werden beispielsweise vom Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz grundsätzlich keine Schenkungen unter Lebenden erfasst. Es gibt aber eine nach Art. 12 Abs. 3 des DBA mögliche Verständigungsvereinbarung zwischen Deutschland und der Schweiz, wonach das DBA für Schenkungen von Geschäftsbetrieben entsprechend anzuwenden ist.
Rz. 41
Unter Erbschaftsteuer im internationalen Rechtssinne sind alle Steuern zu verstehen, die – unabhängig von der Ausgestaltung als Nachlass- oder Erbanfallsteuer – anlässlich eines Todesfalles auf das Vermögen des Erblassers erhoben werden. Die unterschiedliche Ausgestaltung der Steuer kann in den betroffenen Staaten dazu führen, dass es mangels zwischenstaatlicher Abstimmung zu einer Doppel- oder sogar noch stärkeren Mehrfachbelastung kommen kann.
Rz. 42
Von der Höhe der Steuer her bestehen in den einzelnen Staaten gegenwärtig erhebliche Unterschiede: Einige Länder, z.B. Albanien, Estland, Gibraltar, Lettland, Liechtenstein, Malta, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechien Republik oder Zypern, erheben keinerlei Erbschaftsteuer. Andere, z.B. Kroatien, Slowenien oder Litauen, erheben bei Ehegatten und Kindern keine Erbschaftsteuer. Wieder andere, z.B. Italien, haben die Erbschaftsteuer nach zwischenzeitlicher Abschaffung wieder eingeführt und wiederum andere (wie z.B. Deutschland) standen schon mehrfach vor der Frage, wie das nationale ErbStG verfassungs- und EU-konform auszugestalten ist (siehe oben Rdn 2, 26 ff.).
Rz. 43
Hinweis
Gegenwärtig wird in Deutschland – abhängig von der Steuerklas...