Prof. Dr. Thomas Reich, Prof. Dr. Ulrich Voß
1. Rechtliche und wirtschaftliche Doppelbesteuerung
Rz. 19
Ebenso wie sich international-privatrechtliche Probleme stellen können, wenn der Wohnsitzstaat oder die Staatsangehörigkeit der Beteiligten oder der Belegenheitsort des Nachlassvermögens auseinanderfallen und sich daraus in einzelnen Staaten unterschiedliche Erbrechtsfolgen aufgrund eines internationalen Entscheidungsdissenses ergeben können, weil die nationalen Verweisungsvorschriften außerhalb des Anwendungsbereichs der EuErbVO häufig nicht harmonieren, kann es dazu kommen, dass mehrere Staaten unabhängig voneinander einen bestimmten Vermögensübergang jeder für sich – und damit doppelt – besteuern wollen.
Rz. 20
Doppelbesteuerungsfälle können in zwei Kategorien eingeteilt werden; die rechtliche und die wirtschaftliche Doppelbesteuerung:
▪ |
Eine internationale juristische Doppelbesteuerung tritt ein, wenn von demselben Steuerpflichtigen für denselben Steuergegenstand und denselben Zeitraum vergleichbare Steuern in zwei oder mehr Staaten erhoben werden. Wie dargelegt kann aber ein internationaler Entscheidungsdissens dazu führen, dass von verschiedenen Steuerpflichtigen für denselben Steuergegenstand und denselben Zeitraum vergleichbare Steuern in zwei oder mehr Staaten erhoben werden, siehe Fn 10. |
▪ |
Unter wirtschaftlicher Doppelbesteuerung versteht man eine Doppelbesteuerung, bei der das gleiche wirtschaftliche Ergebnis von mehr als einem Staat steuerlich erfasst wird, es im Unterschied zur rechtlichen Doppelbesteuerung aber an der Identität des Steuersubjektes fehlt. |
Rz. 21
Eine internationale juristische Doppelbesteuerung liegt beispielsweise vor, wenn zwei Länder eine Erbschaftsteuer vom Erben erheben, eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung, wenn ein Land eine Erbschaftsteuer und ein anderes eine Nachlasssteuer erhebt. Unabhängig von der Einordnung als rechtliche oder wirtschaftliche Doppelbesteuerung wird das Vermögen durch Steueransprüche verschiedener Staaten gemindert, falls es keine Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung gibt.
Rz. 22
Eine Doppelbesteuerung droht auch dann, wenn ein Staat das in einem anderen Staat belegene Vermögen von der Besteuerung freistellt und deshalb mit diesem Vermögen zusammenhängende Schulden nicht berücksichtigt, diese Schulden im Belegenheitsland aber ebenfalls nicht oder nur teilweise abgezogen werden können. Früher versagten beispielsweise die Niederlande den Schuldenabzug für Vermögen, das dort nur der beschränkten Steuerpflicht unterlag. Das Verbot des Schuldenabzugs nur im Falle der beschränkten Steuerpflicht, nicht aber bei unbeschränkter Steuerpflicht, wurde vom EuGH allerdings für europarechtswidrig erklärt. Der EuGH hat im Dezember 2021 auch die bisherige Nichtabzugsfähigkeit von Verbindlichkeiten aus Pflichtteilen im Falle der beschränkten Steuerpflicht gemäß § 10 Abs. 6 ErbStG als unionsrechtswidrig beurteilt; siehe unten Rdn 110.
2. Vermeidung der Doppelbesteuerung
Rz. 23
Soweit sich eine Doppelbesteuerung ergibt, ist zu prüfen, ob und ggf. wie und inwieweit diese vermieden werden kann. Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung können sich aus unilateralen und bilateralen Regelungen ergeben.
Rz. 24
Unilaterale Regelungen sind nationale Rechtsvorschriften, in denen der Gesetzgeber sein Besteuerungsrecht bei internationalen Sachverhalten beschränkt, ohne hierzu international verpflichtet zu sein. Als unilaterale Regelungen kommt z.B. die Anrechnung einer ausländischen Steuer in Betracht.
Rz. 25
Durch bilaterale Regelungen wird das Besteuerungsrecht zwischen den beiden beteiligten Staaten aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages, der in nationales Recht umgesetzt werden muss, eingeschränkt, z.B. ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA).
Rz. 26
Die Doppelbesteuerung wird häufig durch Anrechnung der Steuer eines Landes auf die Steuer in einem anderen Land (Anrechnungsmethode; dazu ausf. Rdn 134 ff.) oder durch Freistellung des bereits in einem Land besteuerten Vermögens in einem anderen erreicht (Freistellungsmethode; dazu Rdn 132 f.). Daneben gibt es die Abzugsmethode. Diese gestattet es, eine im Ausland gezahlte Steuer von der Steuerbemessungsgrundlage im Inland – also nicht von der inländischen Steuerschuld – abzuziehen. Bei der Abzugsmethode wird die durch die Doppelbesteuerung eintretende Doppelbelastung allerdings regelmäßig nur gemildert und nicht beseitigt. Denn der Abzug der ausländischen Steuer erfolgt lediglich von der Bemessungsgrundlage und mindert daher die inländis...