Prof. Dr. Thomas Reich, Prof. Dr. Ulrich Voß
1. Bewertungsmaßstab
Rz. 107
Für die Berechnung der Erbschaftsteuer kommt es auf den steuerlichen Wert des erworbenen Vermögens an. Für die Besteuerung in Deutschland gelten grundsätzlich die Bewertungsvorschriften in §§ 1–16 BewG (§ 12 Abs. 1 ErbStG). Danach werden Wirtschaftsgüter im Zweifel mit dem gemeinen Wert bewertet. Unter "gemeinem Wert" ist umgangssprachlich der "Verkehrswert" zu verstehen; hierbei handelt es sich um den Preis, der bei einem Verkauf des Wirtschaftsguts im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielen wäre (§ 9 BewG). Sondervorschriften finden sich für
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Anteile an Kapitalgesellschaften (§ 12 Abs. 2 ErbStG, § 151 Abs. 1 Nr. 3, § 157 Abs. 4, § 109 Abs. 2, § 11 Abs. 2, §§ 199–203 BewG) |
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Grundbesitz im Inland (§ 12 Abs. 3 ErbStG, § 151 Abs. 1 Nr. 1, § 176 Abs. 4, § 177–198 BewG) |
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Betriebsvermögen im Inland (§ 12 Abs. 5 ErbStG, § 151 Abs. 1 Nr. 2, § 157 Abs. 5, § 109 Abs. 2, § 11 Abs. 2, §§ 199–203 BewG). |
2. Allgemeines zur Bewertung
Rz. 108
In der Vergangenheit ergaben sich für die nach Sondervorschriften zu bewertenden Vermögensteile (z.B. Betriebsvermögen oder Grundstücke) häufig erheblich vom Verkehrswert nach unten abweichende Werte. Dies war vom Gesetzgeber gewollt und bewusst in Kauf genommen worden, um auf diese Weise beispielsweise Betriebsvermögen von einer Erbschaftsteuer oder Schenkungsteuer zu entlasten. Diese Handhabung wurde allerdings vom BVerfG im Jahre 2006 für verfassungswidrig erklärt. Mit Wirkung vom 1.1.2009 wurden das Erbschaftsteuergesetz und das Bewertungsgesetz umfassend reformiert. Die ab 2009 geschaffenen Entlastungen wurden vom BVerfG zwischenzeitlich allerdings nochmals (als zu weitgehend) für verfassungswidrig erklärt und es bedurfte daher einer weiteren Neuregelung. Danach gibt es zwar immer noch besondere Bewertungsverfahren, diese sollen allerdings – entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG – zu verkehrswertnahen Werten führen. An diese Werte anknüpfend gibt es dann für Betriebsvermögen (§§ 13a ff., 19, 28, 28a ErbStG) und vermietete Wohnimmobilien (§ 13d ErbStG) Entlastungsvorschriften, die gegenüber den Vorgängervorschriften modifiziert wurden (siehe dazu Rdn 120 ff.).
Rz. 109
Gehören zum begünstigungsfähigen Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 1 Nr. 2, 3 ErbStG unmittelbare oder mittelbare Beteiligungen an Personengesellschaften oder Beteiligungen an entsprechenden Gesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Ausland oder unmittelbar oder mittelbar Anteile an Kapitalgesellschaften oder Anteile an entsprechenden Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Ausland, sind nach § 13b Abs. 9 ErbStG anstelle der Beteiligungen oder Anteilen die gemeinen Werte der diesen Gesellschaften zuzurechnenden Vermögensgegenstände mit dem Anteil einzubeziehen, zu dem die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung besteht.
3. Abzug von Schulden
Rz. 110
Bei der Berechnung der Bereicherung nach § 10 ErbStG sind von dem Bruttoerwerb die Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Im Rahmen der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht können nach dem bisherigen § 10 Abs. 6 ErbStG allerdings nur die Schulden abgezogen werden, die mit dem der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht unterliegenden Vermögen im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Vorrangig ist hier wohl an Schulden zu denken, die mit dem Erwerb der Einkunftsquelle im Zusammenhang stehen. Es ist umstritten, ob diese Beschränkung der Abzugsmöglichkeiten bei der beschränkten Steuerpflicht EU-rechtskonform ist. Der EuGH hat im Dezember 2021 jedenfalls die Nichtabzugsfähigkeit von Verbindlichkeiten aus Pflichtteilen im Falle der beschränkten Steuerpflicht gemäß § 10 Abs. 6 ErbStG als unionsrechtswidrig beurteilt. Nach dem Jahressteuergesetz 2024 soll durch Änderungen von § 10 Abs. 6 und Abs. 6b ErbStG eine anteilige Abzugsfähigkeit von Nachlassverbindlichkeiten auch in den Fällen der beschränkten Steuerpflicht möglich sein. Maßgeblich für die Abzugsfähigkeit soll der Anteil sein, mit dem der Vermögensanfall der deutschen Erbschaftsteuer unterliegt.
Rz. 111
Das Abzugsverbot muss im Einzelfall in die Nachfolgeplanung einbezogen werden. Es kann nämlich ansonsten in Fällen, in denen der Nachlass sogar überschuldet ist, trotzdem zu einer Steuerbelastung führen, wenn dem im Rahmen der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht steuerpflichtigen Vermögen wirtschaftlich keine Schulden zugeordnet werden können. In der Literatur wird daher die Ansicht vertreten, dass in derartigen Fällen zumindest eine Option zur unbeschränkten Steuerpflicht zugestanden werden müsse. Ob eine solche Optionsmöglichkeit,...