Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 102
Zu den abzuziehenden Schulden und Lasten gehören alle dem Auszubildenden obliegenden Leistungsverpflichtungen, deren Bestehen nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu bestimmen ist. Von hoher praktischer Relevanz sind innerfamiliäre Darlehensverträge, die das Vermögen des Auszubildenden mit einer Rückzahlungsverpflichtung belasten.
Rz. 103
Wegen der mit solchen innerfamiliären Sachverhalten verbundenen Missbrauchsgefahr müssen die strengen Anforderungen an den Abschluss und die Ernstlichkeit eines zivilrechtlich wirksamen Darlehensvertrages erfüllt sind. Dies setzt u.a. voraus, dass sich die Darlehensgewährung klar und eindeutig von einer verschleierten Schenkung oder einer verdeckten, auch freiwilligen Unterhaltsgewährung abgrenzen lässt. Eine Rückzahlungsverpflichtung des Auszubildenden im Hinblick auf erbrachte finanzielle Leistungen der Eltern – z.B. Kost und Logis, Ausgaben für ärztliche Behandlungen, Ausgaben für einen ausbildungsbedingten Mehrbedarf etc. – besteht z.B. dann nicht, wenn die Eltern noch unterhaltspflichtig sind. Schulden die Eltern einem Auszubildenden also bestimmte Ausgaben im Rahmen ihrer Unterhaltsverpflichtung, besteht kein Anspruch auf deren Rückzahlung, da für die entsprechenden Zahlungen ein Rechtsgrund bestanden hat. Zum sog. ausbildungsbedingten Mehrbedarf, der noch von der Unterhaltspflicht der Eltern umfasst ist, zählen insbesondere die Kosten, die für den Transport zur Ausbildungsstätte anfallen, und zwar auch die Fahrzeugkosten und die Kosten für den Erwerb eines Führerscheins. Leistungen, die Eltern einem Auszubildenden im Rahmen dieser Unterhaltsverpflichtung erbringen, bedürfen keiner Gegenleistung. Überträgt ein Auszubildender daher Vermögen auf seine Eltern gerade als "Gegenleistung" für Unterhaltsleistungen, auf die er einen gesetzlichen Anspruch hat, erfolgt die Vermögensverfügung im förderungsrechtlichen Sinne unentgeltlich.
Rz. 104
An den Nachweis, der dem Auszubildenden für den Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung obliegt, sind strenge Anforderungen zu stellen. Ein Minderjähriger kann einen Darlehensvertrag nicht wirksam vereinbaren.
Rz. 105
Einem strikten Fremdvergleich in dem Sinne, dass sowohl die Gestaltung (z.B. Schriftform, Zinsabrede oder Gestellung von Sicherheiten) als auch die Durchführung des Vereinbarten in jedem Punkt dem zwischen Fremden – insbesondere mit einem Kreditinstitut – Üblichen zu entsprechen hat, muss die Vereinbarung aber nicht standhalten. Das BVerwG lehnt dies mit der Begründung ab, dass die mit dem strengen Fremdvergleich verbundenen Beschränkungen für die Vertragsgestaltung (wie insbesondere Schriftlichkeit, dingliche Sicherung und Verzinsung) weder den tatsächlichen Verhältnissen noch der grundsätzlich durch Art. 6 Abs. 1 GG gebotenen Respektierung familiärer Vertrauensbeziehungen gerecht werden. Auch unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der Missbrauchsabwehr kann eine schriftliche Vereinbarung, die Abreden über Zinsen sowie darüber vorsieht, dass der Rückzahlungsanspruch jedenfalls bei längerer Laufzeit ausreichend (dinglich) gesichert ist, ausbildungsförderungsrechtlich im Regelfall nicht zwingend verlangt werden.
Rz. 106
Ein Rückgriff auf die objektiven Merkmale des sog. Fremdvergleichs ist nur bei der anhand einer umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls vorzunehmenden Prüfung geboten, ob überhaupt ein wirksamer Darlehensvertrag geschlossen worden ist und damit eine Schuld i.S.v. § 28 Abs. 3 S. 1 BAföG begründet wurde. Dabei sind die für und gegen einen wirksamen Vertragsabschluss sprechenden Indizien im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu gewichten und zu würdigen. Verwertbare Indizien sind:
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pro: die Wahrung von im Geschäftsverkehr üblichen Modalitäten (wie der Vereinbarung der in § 488 Abs. 1 BGB genannten Vertragspflichten); |
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contra: der Inhalt der Abrede (insbesondere die Darlehenshöhe sowie die Rückzahlungsmodalitäten) und der Zeitpunkt des Vertragsschlusses werden nicht substanziiert dargelegt; |
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contra: ein plausibler Grund für den Abschluss des Darlehensvertrages kann nicht genannt werden oder der bezeichnete Grund ist nicht dazu geeignet, eine genügende Abgrenzung gegenüber einer Schenkung oder einer freiwilligen Unterstützung bzw. Unterhaltszahlung zu ermöglichen; |
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contra: die Durchführung des Darlehensvertrages entspricht nicht den Vereinbarungen und die Abweichung kann nicht nachvollziehbar begründet werden; |
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contra: wenn der Auszubildende eine etwaige Darlehensverpflichtung nicht von vornherein in seinem Antragsformular bezeichnet, sondern gewissermaßen zum Zweck der Saldierung erst angegeben hat, nachdem er der Behörde gegenüber nachträglich einräumen musste, anrechenbares Vermögen zu besitzen; |
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pro: wenn während eines in der Vergangenheit liegenden Bewilligungszeitraums das Darlehen bereits zu dem Zeitpunkt zurückgezahlt worden war, zu dem es der Auszubildende zum ersten Mal offenlegte, und sich damit erstmals die Frage seiner au... |