Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 112
Fallbeispiel 75: Stipendium und Zweckschenkung
Die Großmutter hat Wertpapiere auf den Namen ihrer Enkelin, der Antragstellerin, im Wert von 80.000 EUR erworben und dieses Geld mit der Zweckbestimmung angelegt, dass die Antragstellerin damit einen Haus- oder Wohnungskauf finanzieren möge. Als die Enkelin zu Beginn ihrer Ausbildung Leistungen nach dem BAföG beantragt, stellt sich den Beteiligten die Frage, inwiefern das Geld der Großmutter für die Vermögensberechnung und schließlich den Bedarf der Enkelin eine Rolle spielt.
Rz. 113
Die Zuwendung der Großmutter auf den Namen der Enkelin führt zur Zuordnung des Vermögens auf Seiten der Enkelin. Die Zuwendung kann eine Zweckzuwendung an die Enkelin sein, wenn beide Seiten davon ausgehen, dass mit dieser Zuwendung nichts anderes geschehen darf, als dass eine Immobilie erworben wird. Ggf. kann man die Vereinbarung auch als eine nach § 158 Abs. 1 BGB aufschiebend bedingte Schenkung ansehen, bei welcher die Enkelin die Verfügungsgewalt über das betreffende Guthaben erst zu dem Zeitpunkt erlangen sollte, in welchem sie sich zur Verwendung des Geldbetrags zum vorgesehenen Zweck entscheiden sollte.
Rz. 114
Wird bei einer Zweckzuwendung der Zweck nicht erreicht, entsteht in der Regel ein Rückforderungsrecht nach § 812 Abs. 1 S. 1, 2 BGB (Bereicherung wegen Zweckverfehlung). Das wurde von der Rechtsprechung bisher nur dann anders beurteilt, wenn der Zweck der Zuwendung so bestimmt wird, dass mit dem Vermögen nach Abschluss der Ausbildung die BAföG-Schulden beglichen werden sollen ("Schaffung einer nachhaltigen Existenzgrundlage"). Dann müsse man anders als z.B. bei Luxusaufwendungen – so die Rechtsprechung – ja gerade von einer zweckentsprechenden Verwendung der Mittel ausgehen.
Rz. 115
Ein entstehender oder bereits entstandener Bereicherungsanspruch im Übrigen belastet aber das Vermögen und ist als Schuld abzuziehen, spätestens jedoch bei § 29 Abs. 3 BAföG zu berücksichtigen. Eine Erfüllung dieses Anspruchs ist nicht rechtsmissbräuchlich.
Rz. 116
Ergebnis Fallbeispiel 75:
Würde die Enkelin die Zuwendung für ihre Ausbildung einsetzen müssen, so würde der Zweck der Zuwendung, sich eine Wohnstatt zu verschaffen, verfehlt. Daher kann das Wertpapierdepot auf jeden Fall im ersten Bewilligungszeitraum nicht als Vermögen berücksichtigt werden. Hier steht ein entsprechender Bereicherungsanspruch gegenüber.
Eine Anrechnung käme aber auch dann nicht in Betracht, wenn man die Vereinbarung als eine nach § 158 Abs. 1 BGB aufschiebend bedingte Schenkung ansehen würde, bei welcher die Enkelin die Verfügungsgewalt über das betreffende Guthaben erst zu dem Zeitpunkt erlangen sollte, in welchem sie sich zur Verwendung des Geldbetrags zum vorgesehenen Zweck entscheiden sollte.
Schließlich wäre notfalls § 29 Abs. 3 BAföG zu prüfen.