Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 64
Für vor der Antragstellung rechtsmissbräuchlich auf eine dritte Person übertragenes Vermögen hat die Rechtsprechung die Rechtsfigur der rechtsmissbräuchlichen Vermögensübertragung entwickelt.
Neben dem ohnehin zu berücksichtigenden Schenkungsrückforderungsanspruch nach §§ 528 ff. BGB handelt es sich um eine Fallkategorie, wonach Vermögen, das rechtsmissbräuchlich verschenkt oder mit Verbindlichkeiten belastet wurde, dem Auszubildenden fiktiv weiter als Vermögen zuzurechnen ist. Dadurch sollen auch diejenigen Gegenstände erfasst werden, die vor Antragstellung in der Absicht, eine Vermögensanrechnung zu verhindern, auf Dritte (insbesondere Angehörige) übertragen wurden. Dabei muss die Schwelle der Nichtigkeit gem. §§ 134, 138 BGB nicht überschritten sein. Die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Vermögensübertragung wird an den Indikatoren
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Rechtsgrundlosigkeit, |
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Unentgeltlichkeit und |
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zeitliche Nähe der Übertragung zur Beantragung der Ausbildungsförderung |
festgemacht.
Rz. 65
Fallbeispiel 74: Das verschwiegene Wertpapierdepot
Der Student S war neben einigen im BAföG-Antrag angegebenen Vermögenswerten auch Inhaber eines auf seinen Namen bei der D.-Bank eingerichteten Wertpapierdepots, das er am 8.10.2019 auf seine Schwester übertragen hatte. Dieses Konto wies im Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf Gewährung von Ausbildungsförderung am 20.12.2019 ein Guthaben in Höhe von 20.598 EUR aus. Als das BAföG-Amt die Leistungsbewilligung 2020 wegen falscher Angaben aufhob, erklärte S, bei dem Guthaben des Wertpapierdepots handele es sich nicht um sein Vermögen. Das Geld habe seiner zwischenzeitlich verstorbenen Großmutter gehört. Er habe das Wertpapierdepot für diese treuhänderisch verwaltet. Zudem habe er das Guthaben des Wertpapierdepots auf Anweisung seiner Großmutter auf seine Schwester übertragen und nicht um seine Bedürftigkeit herbeizuführen.
Rz. 66
Das BVerwG folgte dieser Argumentation nicht. Es verneinte den Abschluss einer Treuhandvereinbarung nach den vorstehenden Anforderungen zwischen S und seiner Großmutter und rechnete das Wertpapierguthaben dem sonstigen Vermögen des S zu.
Rz. 67
Nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und Abs. 4 SGB X kann der Leistungsträger einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen, wenn der Begünstigte deswegen nicht auf den Bestand des Verwaltungsakts vertrauen durfte, weil dieser auf Angaben beruht, die er grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Soweit ein Verwaltungsakt zurückgenommen worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen gem. § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X zu erstatten.
Rz. 68
Es gilt die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide. Die Jahresfrist beginnt, sobald die Rücknahmebehörde die Rechtswidrigkeit des erlassenen Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Sie wird nicht schon durch Informationen des Bundesamtes für Finanzen auf Freistellungsaufträge für Kapitaleinkünfte der auszubildenden Person in Lauf gesetzt, sondern erst durch die nach einem entsprechenden Aufforderungsschreiben vorgelegten Unterlagen der auszubildenden Person.
Rz. 69
Das BVerwG hat S den Vertrauensschutz versagt und ihm grobe Fahrlässigkeit bestätigt. Die unentgeltliche Übertragung des Depots auf seine Schwester sei förderungsrechtlich unbeachtlich:
Zitat
"Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Vermögensübertragung unabhängig von ihrer bürgerlich-rechtlichen Wirksamkeit ausbildungsförderungsrechtlich wegen Rechtsmissbrauchs unbeachtlich, wenn sie im Widerspruch zu dem mit der Vermögensanrechnung verfolgten Gesetzeszweck steht. Dieser Zweck besteht in der Durchsetzung des in § 1 BAföG verankerten Nachrangs der staatlichen Ausbildungsförderung. Danach wird Ausbildungsförderung für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung nur geleistet, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Eine Vermögensübertragung steht im Widerspruch zu diesem Zweck, wenn der Auszubildende Vermögen überträgt, um es der Vermögensanrechnung zu entziehen. Von einer entsprechenden Zweckbestimmung ist grundsätzlich auszugehen, wenn der Auszubildende sein Vermögen bzw. Teile desselben auf einen Dritten überträgt, ohne eine dessen Wert entsprechende Gegenleistung zu erhalten. Dritter in diesem Sinne sind auch die Eltern oder ein Elternteil des Auszubildenden. Denn bei einer unentgeltlichen Übertragung von Vermögen steht der Wert des übertragenen Vermögens dem Auszubildenden für seinen Bedarf nicht mehr zur Verfügung. Hätte eine Anrechnung des unentgeltlich übertragenen Vermögens zu unterbleiben, würde die finanzielle Sicherung der Ausbildung in dem im Gesetz vorgesehenen Umfang nicht erreicht. Gerade weil das übertragene Vermögen nicht mehr vorhanden ist, wä...