Rz. 5
Die Rückschlagsperre des § 88 InsO beseitigt vollstreckungsrechtliche Sicherungen im Dunstkreis der Verfahrenseröffnung. Kein Gläubiger – auch im Nachlassinsolvenzverfahren – soll ein Vorteil zu Lasten der übrigen Gläubiger erhalten. Die Rückschlagsperre ist in § 88 InsO geregelt und verfolgt das Ziel, solche Sicherungen zu beseitigen, die vielleicht erst in Kenntnis des drohenden Verfahrens "in letzter Minute", jedenfalls bereits in der Krise, erlangt wurden und welche bei Bestand eine Befriedigung der Gläubigergesamtheit beinträchtigen würden. Durch das Insolvenzverfahren soll eine gemeinschaftliche und gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger erreicht werden. Durch die "Rückschlagsperre" werden solche zweckwidrigen Sicherungen mit Eröffnung unwirksam, sofern sie innerhalb eines gewissen Zeitraums erlangt wurden. § 88 InsO dient also dem Erhalt der Masse und trägt dem Grundsatz der gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger Rechnung. § 88 InsO differenziert dabei zwischen einer Unternehmens- und einer Verbraucherinsolvenz. Während bei der Unternehmensinsolvenz der Zeitraum der Rückschlagsperre nur 1 Monat (gerechnet rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung) beträgt, gestattet es die Vorschrift im Verbraucherinsolvenzverfahren Sicherungen bis zu drei Monate rückwirkend für unwirksam zu erklären.
Rz. 6
Hinweis
§ 88 InsO ermöglicht jedoch nur die Beseitigung einer eingetretenen Verstrickung ohne Befriedigungserfolg. Es wird nämlich nur die Beseitigung einer Sicherung, die ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat (bzw. in den letzten drei Monaten bei Verbraucherinsolvenz) vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder danach durch Zwangsvollstreckung an einem Massegegenstand erlangt hat, mit Insolvenzeröffnung unwirksam.
Rz. 7
Das Gesetz regelt zwar eine Unwirksamkeit, diese ist aber, wie die Formulierung aufzeigt, an verschiedene Voraussetzungen geknüpft. Zudem "muss" die Unwirksamkeit durchgesetzt werden, da die dennoch eingetretene Verstrickung bestehen bleibt. Voraussetzung einer Unwirksamkeit ist, dass folgende Punkte kumulativ vorliegen:
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Es darf nur eine Sicherung erwirkt worden sein. |
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Die Handlung muss im Rahmen der Zwangsvollstreckung erfolgt sein. Rechtsgeschäftliche Verfügungen sind also nicht von der Rückschlagsperre betroffen. |
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Die Handlung muss durch einen Insolvenzgläubiger erfolgt sein. |
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Die Handlung muss die Insolvenzmasse betreffen. Von der Rückschlagsperre sind nur Vollstreckungsmaßnahmen in Gegenstände der Insolvenzmasse (§§ 35, 36 InsO) erfasst. Besteht also ein Befriedigungsrecht an insolvenzfreiem Vermögen, bleiben die Wirkungen der Vollstreckungsmaßnahme von der Insolvenzeröffnung unberührt (§ 80 Abs. 2 S. 2 InsO). |
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Die Sicherung muss im maßgeblichen Zeitraum von der Rückschlagsperre (ein Monat bzw. drei Monate ab Antrag) erfolgt sein. Maßgeblich ist dabei stets der erste zulässige und begründete Antrag. |
Rz. 8
Durch die Anwendung der Rückschlagsperre erfolgt kein Automatismus, wonach Gegenstände, die hiervon betroffen sind, wieder "automatisch" in die Masse zurückfallen. Stattdessen treten neben der "unwirksamen" Verstrickung – die laut BGH bestehen bleibt – zusätzlich die Verstrickungsbeschränkungen des Nachlassinsolvenzverfahrens ein. Ein betroffener Drittschuldner hat bis zur Klärung ein Zurückbehaltungsrecht. Die Rückschlagsperre hat keinen Einfluss auf die öffentlich-rechtliche Verstrickung. Nach Ansicht des BGH betreffe die Unzulässigkeit oder die Unwirksamkeit nur die vom Vollstreckungsgläubiger erlangte Sicherung, nicht aber das Vollstreckungsverfahren selbst. Dies folgt aus § 836 Abs. 2 ZPO.
Rz. 9
Die Frage, wie die Verstrickung beseitigt wird, beschäftigte zuletzt die Gerichte. Der BGH hat sich mit Entscheidung vom 21.9.2017 nicht eindeutig positioniert. Diese Positionierung hat er jedoch mit seinen Entscheidungen aus dem November 2020 und Dezember 2021 aufgegriffen und beseitigt. Danach kann und soll eine unwirksame Vollstreckung mittels Ruhendstellung beseitigt werden. Allerdings dürfte fraglich sein, ob diese Ansicht auch für das Nachlassinsolvenzverfahren Bestand haben wird. Während man im "regulären" Verfahren hierbei die Rechte der Gläubiger schützen möchte, die ein Pfandrecht erwirkt und im Falle einer fehlenden Restschuldbefreiung im Anschluss aus besserer Position heraus vollstrecken sollen dürfen, fehlt es an diesem "Sinn" im Nachlass. Hier kann nach Beendigung des Verfahrens der Erbe die Haftungsbeschränkung geltend machen. Folglich macht eine weitere potentielle Zwangsvollstreckung hier keinen rechten Sinn.