I. Arten von Besitz
Rz. 4
Wie bereits angedeutet, unterscheidet das BGB begrifflich den Besitz als tatsächliche Sachherrschaft von dem Eigentum als rechtlicher Sachherrschaft. Sofern nicht nur eine, sondern mehrere Personen die tatsächliche Sachherrschaft nebeneinander ausüben, etwa Eheleute an der Mietwohnung, spricht man von Mitbesitz und von Mitbesitzern (§ 866 BGB). Übt eine Person nicht aufgrund eigener Entscheidungskompetenz, sondern nur aufgrund ihrer beruflichen Anstellung die tatsächliche Gewalt über Sachen aus, etwa die Verkäuferin von Kosmetika in einem Kaufhaus, dann ist im Rechtssinne gem. § 855 BGB nur ihr Arbeitgeber Besitzer, die Verkäuferin bezeichnet man demgegenüber als Besitzdiener(in). Dies ist von dem rechtlichen Aussagegehalt, d.h. der Zuordnung des Besitzes zu dem Arbeitgeber, nicht zu beanstanden, die Bezeichnung als Besitzdiener(in) passt jedoch sicherlich nicht mehr in das heutige Sprachverständnis über das Verhältnis von Angestellten zu ihren Arbeitgebern. Eine besondere Besitzart stellt der mittelbareBesitz gem. § 868 BGB dar. Hier ist der Grundsatz, wonach Besitz die tatsächliche Sachherrschaft voraussetzt, durchbrochen. Sofern die Person, die die tatsächliche Sachherrschaft ausübt (und nicht nur Besitzdiener ist), diesen Besitz aufgrund eines sog. Besitzmittlungsverhältnisses gem. § 868 BGB ausübt, bspw. als Mieter, Pächter, Verwahrer etc., dann ist trotzdem auch der Eigentümer "hierdurch rechtlich vermittelt" Besitzer, nämlich mittelbarer Besitzer. Den Mieter, der das Eigentumsrecht des anderen respektiert, in diesem Sinne also "für" den Eigentümer die Sache besitzt, bezeichnet man als unmittelbaren Besitzer. Entsprechend der Willensrichtung, für wen man besitzt, ist der Besitz des Mieters ein (unmittelbarer) Fremdbesitz, der des Eigentümers ein (mittelbarer) Eigenbesitz (§ 872 BGB).
Beispiel:
Ein in der Praxis häufig anzutreffender Fall des mittelbaren Besitzes ist der bei Sicherungsübereignungen von Gegenständen an Banken. Wenn z.B. jemand bei einer Bank ein Darlehen aufnimmt, um einen Pkw zu erwerben, verlangt die Bank regelmäßig neben der Verzinsung für das Geld zusätzlich die Übereignung des Pkws zur Absicherung ihres Darlehensrückzahlungsanspruchs. Der Darlehensnehmer hat die tatsächliche Sachherrschaft über den Pkw. Nach außen sieht es so aus, als sei er der Eigentümer, in Wahrheit besitzt er die Sache jedoch für die Bank in Anerkennung deren Sicherungseigentums; die Bank ist demgegenüber Eigentümer und mittelbarer (Eigen-)Besitzer. Sie lässt sich daher auch den Kfz-Brief im Original aushändigen, um so einen ansonsten möglichen gutgläubigen Erwerb eines Dritten bei rechtswidriger Veräußerung durch den Besitzer zu verhindern (vgl. § 935 BGB).
II. Erwerb und Übertragung
Rz. 5
Der unmittelbare Besitz wird gem. § 854 Abs. 1 BGB durch das Erlangen der tatsächlichen Gewalt über eine Sache, die sog. tatsächliche Sachherrschaft, erworben. Übertragen wird der unmittelbare Besitz durch Übergabe der Sache an eine besitzwillige Person unter Einverständnis über den dabei tatsächlich erfolgenden Übergang der Sachherrschaft. Die Übergabe der Sache als solcher ist für den Besitzübergang in den Fällen nicht erforderlich, in denen man sich über den Besitzübergang einig ist und der Erwerber auch ohne Übergabe in der Lage ist, die Gewalt über die Sache auszuüben. So genügt bspw. die Schlüsselübergabe einer Wohnung an den Mieter, um diesem hierdurch unmittelbaren Besitz nicht nur an dem Schlüssel, sondern auch an der angemieteten Wohnung einzuräumen. Der Erwerb des mittelbaren Besitzes setzt den Abschluss eines Besitzmittlungsverhältnisses zwischen dem unmittelbaren Besitzer und der Person voraus, die mittelbarer Besitzer werden soll. Der mittelbare Besitz kann gem. § 870 BGB durch Abtretung des sich aus dem Besitzmittlungsverhältnis ergebenden (künftigen) Herausgabeanspruchs auf einen Dritten übertragen werden.
III. Besitzschutz
Rz. 6
In der Praxis kommen relativ häufig Fälle von Besitzstörungen unterschiedlichster Art vor. So meinen Personen gelegentlich, sich ohne Einschaltung der Justiz "ihr vermeintliches Recht" im Wege der Selbsthilfe holen zu dürfen. Die sog. "Selbstjustiz" ist allerdings fast immer unzulässig. Ein klassischer Beispielsfall unzulässiger Selbstjustiz geht dahin, dass der Vermieter dem Wohnungsmieter, der trotz Kündigung nicht aus der Mietwohnung zieht, in dessen kurzzeitiger Abwesenheit kurzerhand die Wohnung räumt bzw. von Dritten räumen lässt, das Türschloss auswechselt und den gesamten Besitzstand des Mieters vor die Haustür stellt oder an anderer Stelle deponiert. Nicht selten sind auch die Fälle, bei denen der/die alleinige Mieter(in) einer Wohnung beim Abbruch der Beziehung zu seiner/ihrem seit mehreren Jahren bei ihm/ihr wohnenden Lebensgefährtin/-en deren/dessen Sachen vor die Wohnung räumt und das Türschloss auswechselt. Bei derartigen Fallkonstellationen müssen zwei Fragen strikt voneinander getrennt werden: zum einen diejenige, ob jemand zu Recht Besitz an einer Sache hat, und zum anderen die Frage, ob man einer Person, di...