Dr. Michael Nugel, Sebastian Gutt
a) Übersicht
Rz. 270
In welcher Höhe die Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeug als erforderlich i.S.d. § 249 BGB anzusehen sind und welche Pflichten den Geschädigten zur Minderung dieses Aufwandes nach § 254 Abs. 2 BGB treffen wird in der Rechtsprechung und Literatur kontrovers erörtert. Während früher der BGH diese Fragen weitestgehend zugunsten des Geschädigten entschied, hat sich diese Rechtsprechung vor dem Hintergrund gewandelt, dass sich in der Mietwagenbranche neben dem üblicherweise anfallenden Tarif als sog. Normaltarif ein höherer sog. Unfallersatztarif entwickelt hat.
Rz. 271
Hierbei hat der BGH in einer Reihe Entscheidungen folgende Grundsätze aufgestellt und konkretisiert: Der Geschädigte kann als erforderlichen Herstellungsaufwand i.S.d. § 249 Abs. 2 BGB nur den Ersatz der Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Hierbei ist er gehalten, von mehreren Möglichkeiten im Rahmen des ihm Zumutbaren den günstigeren Weg der Schadensbeseitigung zu wählen. Dies ist in der Regel zumindest der Mietwagenpreis, der üblicherweise bei der Anmietung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs in der betroffenen Region anfällt. Auf die Frage, ob der Mietwagentarif zwischen dem Geschädigten und dem Mietwagenunternehmen wirksam vereinbart worden ist, kommt es dabei nicht an.
Rz. 272
Einen darüber hinausgehenden Mietwagentarif, kann der Geschädigte im Rahmen des § 249 BGB mit zwei möglichen Begründungen ersetzt erhalten:
(1) Der Geschädigte weist nach, dass ihm die Anmietung zu einem günstigeren Tarif, insbesondere zum "Normaltarif", nach den konkreten Umständen nicht zugänglich gewesen ist. In diesem Fall sind die konkret angefallenen Mietwagenkosten selbst dann zu erstatten, wenn sie gegenüber dem Normaltarif nicht wirtschaftlich gerechtfertigt wären.
(2) Der Geschädigte weist nach, dass ein sog. Aufschlag auf den "Normaltarif" mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen etc.) gerechtfertigt ist, weil die Besonderheiten auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die Unfallsituation veranlasst und zur Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich sind.
Rz. 273
Auf diese Frage, ob ein solcher Aufschlag gerechtfertigt ist, kommt es jedoch nicht an, wenn die Schädigerseite dem Geschädigten nachweist, dass er ein Ersatzfahrzeug ohne Weiteres zu dem "Normaltarif" hätte anmieten können und durch die Anmietung zu einem höheren Tarif gegen seine Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB verstößt.
b) Bestimmung des ortsüblichen "Normaltarifs"
Rz. 274
Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH ist in der unterinstanzlichen Rechtsprechung ein Streit darüber entstanden, auf welcher Basis der Tatrichter den als ortsüblich anzusehenden Normaltarif im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 ZPO zu bestimmen hat, den der Geschädigte zumindest als erforderlichen Aufwand i.S.d § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ersetzt erhält.
Rz. 275
Der BGH hält sich als Revisionsgericht bei der Bestimmung dieser Aufwendungen bedeckt und gibt dem Tatrichter im Rahmen der nachfolgend angeführten Grundsätze weitestgehend "freie Hand". Bei der Prüfung der Angemessenheit der Mietwagenkosten ist grundsätzlich das Preisniveau an dem Ort maßgebend, an dem das Fahrzeug angemietet und übernommen wird, weil dort der Bedarf für ein Mietfahrzeug entsteht. In Ausübung seines Ermessens nach § 287 ZPO kann der Tatrichter den "Normaltarif" auf der Grundlage eines sog. Mietwagenspiegels – unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls etwa ergänzt durch Abschläge bzw. Zuschläge oder sachverständige Hilfe – berechnen. Der BGH hat wiederholt entschieden, dass in Ausübung des tatrichterlichen Ermessens nach § 287 ZPO der Normaltarif sowohl auf Grundlage des Schwacke-Mietpreisspiegels als auch der Fraunhofer-Liste ermittelt werden kann. Eine Schätzung nach dem arithmetischen Mittel beider Erhebungen hat er auch nicht als rechtsfehlerhaft erachtet.
Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher und offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden und ferner dürfen wesentliche die Entscheidung bedingende Tatsachen nicht außer Betracht bleiben. Die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, bedarf nur der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgez...